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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Direktive elf herausgefunden haben.»
    «Ich wüsste nicht, dass wir überhaupt irgendetwas herausgefunden hätten», sagte sie. «Ich bin noch nicht überzeugt, dass Sie wirklich der große Detektiv sind, der Sie angeblich sein sollen.»
    «Damit wären wir schon zwei. Nichtsdestotrotz, in diesem Land sollte man nicht nach der Direktive elf fragen, Anna. Ich bin schon lange in diesem Geschäft, und ich kann es riechen, wenn es gefährlich wird. Ich hab Ihnen bis jetzt nichts davon gesagt, aber als ich jemanden beim SIDE nach Direktive elf gefragt habe, fing er an, sich zu winden und zu zucken wie eine Wünschelrute. Versprechen Sie mir, dass Sie nicht darüber sprechen werden. Nicht einmal mit Ihrem Vater oder Ihrer Mutter oder ihrem Rabbiner.»
    «Also schön», willigte sie schmollend ein. «Ich verspreche es. Ich werde mit niemandem darüber reden. Nicht einmal in meinen Gebeten.»
    «Sobald ich hier raus bin, machen wir weiter. Wir werden sehen, was wir herausfinden können. Bis dahin können Sie mir folgende Frage beantworten: Was genau sind Sie? Eine jüdische Katholikin? Oder eine katholische Jüdin? Ich bin nicht sicher, ob ich den Unterschied erkenne. Jedenfalls nicht, ohne Sie in den Dorfteich zu stecken.»
    «Meine Eltern sind konvertiert, als sie Russland verlassen haben», sagte sie. «Sie wollten sich einfügen, als sie hier ankamen. Mein Vater meinte, Jude zu sein sei nicht besonders praktisch und dass es besser sei, sich wie jeder andere zu geben.» Sie schüttelte den Kopf. «Warum? Haben Sie etwas gegen jüdische Katholiken?»
    «Ganz im Gegenteil. Wenn Sie weit genug zurückblicken, werden Sie feststellen, dass sämtliche Katholiken jüdisch waren. Das ist das Großartige an Geschichte. Man muss nur weit genug zurückgehen. So gesehen war selbst Hitler jüdisch.»
    «Ich denke, das erklärt alles», sagte sie und küsste mich zärtlich.
    «Wofür war denn das?»
    «Anstatt Trauben. Damit Sie bald wieder gesund werden.»
    «Es könnte tatsächlich helfen, wissen Sie?»
    «Dann hilft Ihnen das, was ich jetzt sagen werde, vielleicht auch: Ich habe mich in Sie verliebt. Fragen Sie mich nicht warum, weil Sie zu alt für mich sind, aber es ist nun mal passiert.»
     
    Es kam noch anderer Krankenbesuch, aber keiner machte mich so froh wie der von Anna Yagubsky. Der Colonel kam nach mir sehen. Genau wie Pedro Geller. Und Melville aus dem Café des Hotel Richmond. Er war so freundlich, mich im Schach zu schlagen. Alles war vertraut und alltäglich – als wäre ich ein Mann aus der Gemeinde und nicht ein Exilant fern der Heimat. Bis auf eine einzige, große, narbengesichtige Ausnahme.
    Er war ungefähr eins neunzig groß und wog gut hundert Kilo. Seine Haare waren dicht und dunkel, nach hinten gekämmt über einer breiten, unregelmäßig geformten Stirn und sahen aus wie ein französisches Barett. Seine Ohren waren riesig wie die eines indischen Elefanten, und über die gesamte linke Wange zog sich ein Schmiss, wie sie bei den deutschen Studenten so beliebt waren, die keine Angst vor Duelliersäbeln hatten. Er trug ein hellbraunes Sportsakko, weitgeschnittene Flanellhosen, ein weißes Hemd und eine grüne Seidenkrawatte. Seine Schuhe waren schwarz, stabil und auf Hochglanz poliert und hatten mit Sicherheit Bekanntschaft mit einem Exerzierplatz gehabt. In der linken Hand hielt er eine Zigarette. Ich schätzte ihn auf Anfang vierzig, und er sprach mit einem starken Wiener Akzent. «So, Sie sind also wach», sagte er.
    Ich setzte mich in meinem Bett auf und nickte. «Wer sind Sie?»
    Er nahm das chirurgische Instrument in seine mächtige Tatze – das Ding, mit dem die Klemmen an meinem Hals geöffnet werden sollten, falls mit meiner Luftröhre irgendetwas schiefging. Er begann, damit herumzuklappern.
    «Otto Skorzeny», sagte er. Seine Stimme klang beinahe so rau wie meine eigene. Als hätte er mit Batteriesäure gegurgelt.
    «Die anderen Krankenschwestern bisher waren eigentlich ganz hübsch», sagte ich.
    Er kicherte. «Ist mir nicht entgangen. Vielleicht sollte ich mich selbst hier als Patient anmelden. Ich leide immer noch unter einer alten Kriegsverletzung, die ich mir 1941 zugezogen habe. Eine Katjuscha-Rakete hat mich für kurze Zeit lebendig begraben.»
    «Soll auf lange Sicht die beste Methode sein, wie man so hört.»
    Er kicherte erneut. Es klang wie ein Abfluss.
    «Was kann ich für Sie tun, Otto?» Ich nannte ihn Otto, weil alle drei Knöpfe seines Sakkos geschlossen waren und unter dem Arm eine

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