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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Frau verschwand mit den Kindern im Badezimmer, und Louis Adlon schenkte uns allen Schnaps ein. Max erschien und machte sich daran, das Gepäck zu verstauen. Wir konnten zwar nicht sehen, was draußen auf der Straße los war, doch der Lärm war nicht zu überhören. Ein paar S A-Banditen marschierten durch die Wilhelmstraße und grölten «Tod den Marxisten». In Isidors Augen standen Tränen, doch er bemühte sich zu lächeln.
    «Es klingt, als hätten sie bereits jemanden gefunden, dem sie die Schuld am Brand in die Schuhe schieben können», sagte er.
    «Das wird ihnen niemand glauben», sagte ich.
    «Die Leute glauben, was sie glauben wollen», sagte Isidor. «Und im Augenblick wollen sie ganz gewiss nicht an die Kommunisten glauben.»
    Er nahm das Glas, das Louis ihm anbot, und wir prosteten einander zu.
    «Auf bessere Tage», sagte Louis.
    «Ja», sagte Isidor. «Doch ich befürchte, dass das nur der Anfang ist. Das ist mehr als ein Feuer. Merken Sie sich meine Worte, meine Herren. Das da draußen ist der Scheiterhaufen, auf dem die deutsche Demokratie verbrennt.» Er legte mir eine väterliche Hand auf die Schulter. «Sie müssen auf sich aufpassen, mein junger Freund.»
    «Ich?» Ich grinste. «Ich bin nicht derjenige, der sich in der chinesischen Botschaft verstecken musste.»
    «Das war seit einer Weile so vereinbart. Wir waren auf etwas Ähnliches vorbereitet. Unsere Koffer sind seit Wochen gepackt.»
    «Wohin gehen Sie von hier aus, Herr Weiß?»
    «Holland. Ich denke, in Holland sind wir sicher.»
    Ich sah ihm an, dass er müde war. Erschöpft. Also schüttelte ich ihm ein letztes Mal die Hand und ließ ihn allein. Ich habe ihn niemals wiedergesehen.
    Ich ging aufs Dach hinauf, wo Frieda mit einigen Gästen und ein paar Hotelangestellten den Brand beobachtete. Einer der Kellner aus der Cocktailbar hatte eine Flasche Schnaps mit nach oben gebracht, um mit dem Alkohol die nächtliche Kühle besser zu ertragen, doch niemand war nach Trinken zumute. Jeder wusste, was das Feuer bedeutete. Es sah aus wie ein Leuchtsignal aus der Hölle.
    «Ich bin froh, dass du wieder da bist», sagte Frieda. «Ich habe Angst.»
    Ich legte den Arm um sie. «Warum? Es gibt nichts, wovor du Angst haben müsstest. Du bist absolut sicher hier oben.»
    «Das habe ich nicht gemeint, Bernie. Ich bin Jüdin, schon vergessen?»
    «Das hatte ich tatsächlich vergessen. Entschuldige.» Ich zog sie an mich und küsste sie auf die Stirn. Ihr Haar und der Übermantel rochen so stark nach Rauch, als hätte sie selbst Feuer gefangen.
    Ich hüstelte ein wenig. «So viel zur berühmten Berliner Luft», sagte ich.
    «Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Wo hast du gesteckt?»
    Eine starke, eisig kalte Windbö führte neuen Rauch heran. Wo ich gewesen war? Ich wusste es nicht. Ich war wie betäubt. Ohne Gedanken. Ich schluckte mühsam und versuchte zu antworten. Der Rauch machte mir zu schaffen. Inzwischen war so viel Rauch in der Luft, dass ich das Feuer nicht mehr sehen konnte. Oder das Dach des Adlon. Oder gar Frieda. Nach einer Minute holte ich tief Luft. Es brannte in meiner Kehle. Ich rief nach Frieda. «Wo bist du?»
    Ein Mann starrte durch den Rauch hindurch auf mich herab. Er trug einen weißen Kittel und eine goldene Armbanduhr. Seine Augen ruhten auf meinem Schlüsselbein, und dann befummelte ermich dort mit seinen Händen, als suchte er irgendetwas unter meinem Adamsapfel. Ich drehte den Kopf auf dem Kissen zur Seite und gähnte.
    «Wie fühlt sich das an?», fragte der Mann in dem weißen Kittel.
    «Es schmerzt ein wenig beim Schlucken», hörte ich mich sagen. «Ansonsten ist es ganz in Ordnung.»
    Er war gebräunt, sah sportlich aus, und sein Lächeln war aalglatt wie der gesägte Zahn eines Kamms. Mit seinem Castellano war es nicht weit her. Er klang wie ein Engländer oder vielleicht ein Amerikaner. Sein Atem war kalt und parfümiert wie seine Finger.
    «Wo bin ich?»
    «Im britischen Hospital von Buenos Aires, Señor Hausner. Sie wurden an der Schilddrüse operiert. Erinnern Sie sich? Ich bin ihr Arzt, Dr.   Pack.»
    Ich runzelte die Stirn, während ich mich zu erinnern versuchte, wer Señor Hausner war.
    «Sie haben eine Menge Glück, Señor Hausner. Sehen Sie, die Schilddrüse sitzt zu beiden Seiten des Adamsapfels, wie zwei kleine Pflaumen. Eine davon war von Krebs befallen. Wir haben diesen Teil herausgenommen. Die andere war vollkommen gesund, deswegen haben wir sie in Ruhe gelassen. Was bedeutet, dass Sie nicht den Rest

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