Das letzte Experiment
Ausbeulung zu erkennen war. Ich nahm nicht an, dass es seine Schilddrüse war.
«Wie ich höre, ziehen Sie Erkundigungen über mich ein.» Er lächelte, doch es war eher so, dass er die Gesichtsmuskeln dehnte.
«Tatsächlich?»
«In der Casa Rosada.»
«Vielleicht die eine oder andere Erkundigung, ja.»
«Das könnte sich als ungesund erweisen, mein Freund. Ganz besonders für einen Mann in Ihrer Lage.» Er klapperte bedeutsam mit der chirurgischen Zange. «Wofür ist dieses Ding überhaupt?»
«Das ist eine chirurgische Zange.» Ich hielt es für besser, ihm keine Details zu verraten.
«Zum Ziehen von eingewachsenen Fußnägeln und dergleichen?»
«Denke ich mir, ja.»
«Ich habe einmal zugesehen, wie die Gestapo einem Mann sämtliche Fingernägel gezogen hat. Das war in Russland.»
«Ich habe gehört, Russland soll ein faszinierendes Land sein.»
«Die verdammten Russen können Schmerzen ertragen wie sonst niemand auf der Welt», sagte er mit aufrichtiger Bewunderung in der Stimme. «Einmal habe ich einen russischen Soldaten gesehen, dem man erst ein oder zwei Stunden vorher beide Arme abgenommen hatte, wie er ohne Hilfe von seiner Matratze aufstand und zur Latrine ging.»
«Muss aber eine ziemlich große Zange gewesen sein.»
«Wie dem auch sei, jetzt bin ich hier. Also, was genau wollen Sie wissen? Und kommen Sie mir nicht mit dieser getürkten Reisepass-Geschichte. Von wegen Führungszeugnis oder was auch immer. Was wollen Sie wirklich wissen?»
«Ich suche nach einem Mörder.»
«Das ist alles?» Skorzeny zuckte die Schultern. «Das sind wir doch alle, oder nicht?» Er drückte seine Zigarette im Aschenbecher auf meinem Nachttisch aus. «Ansonsten wären wir wohl kaum hier in Argentinien, oder?»
«Zugegeben. Aber dieser Mann bringt Kinder um. Junge Mädchen, heißt das. Er weidet sie aus wie Schweine. Zu Anfang dachte ich, einer unserer alten Kameraden hätte Geschmack gefunden an dieser Art von Morden. Inzwischen ist mir jedoch klar, dass es um etwas anderes geht. Außerdem wird ein Mädchen vermisst, das vielleicht ein weiteres Opfer dieses Mörders geworden ist. Sie könnte tot sein – oder entführt.»
«Und Sie dachten, ich hätte vielleicht etwas damit zu tun?»
«Entführung ist doch Ihr Spezialgebiet, wenn ich mich recht entsinne.»
«Sie meinen Mussolini?» Skorzeny grinste. «Das war eine Rettungsmission. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man die Eier des Duce aus der Schusslinie zieht oder ein kleines Schulmädchen entführt.»
«Das weiß ich. Dennoch fühlte ich mich veranlasst, jeden Stein umzudrehen. So lauten nämlich meine Befehle.»
«Wer gibt Ihnen diese Befehle?»
«Das kann ich Ihnen nicht sagen.»
«Ich mag Sie, Hausner. Sie haben Mumm. Im Gegensatz zu den meisten unserer alten Kameraden. Hier sitze ich und versuche Sie einzuschüchtern …»
«Tun Sie das?»
«… und Sie reagieren überhaupt nicht darauf, verdammter Kerl.»
«Bis jetzt.»
«Ich könnte diese Klemmen an Ihrem Hals bearbeiten», sagte er. «Ich könnte wetten, dass die Zange genau dafür gemacht ist. Andererseits habe ich einen Mann wie Sie lieber auf meiner Seite. Verbündete, Männer, auf die man sich verlassen kann, sind sehr dünn gesät in diesem Land.»
Er nickte, als würde er sich selbst zustimmen. Wahrscheinlich sollte man ihm auch nicht widersprechen – seinem Aussehen und seinem Ruf nach zu urteilen.
«Ja. Ich könnte einen guten Mann auf meiner Seite gebrauchen in Argentinien.»
«Klingt, als böten Sie mir einen Job an, Otto.»
«Vielleicht.»
«Jeder hier will offenbar, dass ich für ihn arbeite. Wenn das so weitergeht, werde ich noch zum Angestellten des Jahres.»
«Solange Sie am Leben bleiben, wer weiß?»
«Soll heißen?»
«Ich an Ihrer Stelle würde meine Nase nicht in meine Angelegenheiten stecken», sagte er. «Wenn Sie das nämlich tun, müsste ich Ihnen die Nase wegschießen.»
Er sagte es auf eine Weise, als meinte er es nett. Auch wenn ich bezweifelte, dass er das ernst meinte. Nach allem, was ich über Otto Skorzeny wusste – Sturmbannführer der Waffen-SS, Ritterkreuzträger, Held der Ostfront, der Mann, der Mussolini aus der Gefangenschaft befreit hatte –, wäre es ein großer Fehler gewesen, Skorzeny nicht ernst zu nehmen. Ein Fehler, der ganz schnell in einem anonymen Grab enden konnte.
«Ich kann den Mund halten», sagte ich.
«Jeder kann den Mund halten», sagte Skorzeny. «Der Trick besteht darin, es zu tun und dabei gleichzeitig am
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