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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Außenseiter. Wir können einander helfen. Ein Anruf hier, ein Anruf da. Und wir vergessen unsere Freunde nie.»
    Er zückte eine Visitenkarte und legte sie umständlich auf meinen Nachttisch. «Andererseits   …»
    «Andererseits?»
    Er blickte zu dem Bild des englischen Königs an der Wand neben meinem Bett. Für einen Augenblick starrte er es nur böse an, dann sprang er auf und schlug mit der geballten Faust zu. Das Glas zersplitterte, und der Rahmen löste sich vom Haken. Das Bild fiel zu Boden. Glassplitter stieben durch den Raum. Skorzeny ignorierte sie. Er hielt seine blutende Hand über meinen Kopf, sodass mir dicke Blutstropfen über die Stirn liefen.
    «Andererseits könnte das hier auch ihr Blut sein, wenn wir uns das nächste Mal treffen.»
    «Das ist ein übler Schnitt, den Sie sich da geholt haben, Otto. Sie sollten sich so schnell wie möglich verarzten lassen. Ich glaube,drüben in Viamonte gibt es eine ziemlich gute Veterinärklinik. Vielleicht kriegen Sie sogar eine Tollwut-Impfung, bevor Ihre Pfote genäht wird.»
    «Das?» Skorzeny hob die Hand und ließ das Blut auf mein Gesicht tropfen. Eine Sekunde lang schien er ganz fasziniert von dem Vorgang. Vielleicht war es sein Ding. Es gab mehr als genug Leute in der SS, die fasziniert gewesen waren vom Blutvergießen. Die meisten von ihnen schienen heutzutage in Argentinien zu leben. «Das ist nur ein Kratzer.»
    «Es wäre keine schlechte Idee, wenn Sie jetzt verschwinden, Otto», sagte ich. «Nach dem, was Sie mit dem König gemacht haben, meine ich. Das hier ist immer noch das Britische Krankenhaus.»
    Otto spuckte auf das herabgefallene Porträt. «Ich habe dieses Schwein schon immer gehasst», sagte er.
    «Sie müssen mir nichts erklären, absolut nicht, Otto», sagte ich. Meine Geduld war allmählich zu Ende. Ich wollte ihn endlich los sein. «Sie, der Adolf Hitler sogar einmal persönlich begegnet ist.»
    «Mehr als einmal», verbesserte er mich leise.
    «Tatsächlich?» Ich tat interessiert. «Wenn wir uns das nächste Mal treffen, müssen Sie mir alles darüber erzählen! Ich freue mich jetzt schon darauf, ehrlich.»
    «Dann sind wir Partner?»
    «Sicher, Otto. Sicher.»
    Er streckte mir die blutige Hand entgegen, damit ich einschlug. Ich ergriff sie und spürte die Kraft in seinem Unterarm. Außerdem war er jetzt nah genug, dass ich das schmutzige Eis in seinen blauen Augen erkennen konnte und das ranzige Aroma seines schlechten Atems riechen. An seinem Revers war ein kleiner goldener Stern angeheftet. Ich wusste nicht, wofür der goldene Stern stand, doch ich fragte mich, ob Otto zum Halten gekommen wäre, hätte ich ihn entfernt. Wie die mörderische Kreatur in Gustav Meyrinks Buch
Der Golem
.
    Wenn das Leben doch nur so einfach wäre.

FÜNFZEHN
BUENOS AIRES
1950
    Es war eine kurze Rekonvaleszenz, doch die Zeit genügte mir, um mir in meinem Bett den einen oder anderen Gedanken zu machen. Und nach einer Weile gelang es mir, einige der Puzzlesteinchen in meinem Kopf zusammenzusetzen. Unglücklicherweise war es ein Puzzle, dessen Einzelteile ziemlich scharfe Kanten hatte – wenn ich nicht auf der Hut war, konnte es sein, dass ich mir in den Finger schnitt. Oder Schlimmeres. Lange genug am Leben zu bleiben, um das Gesamtbild zu erkennen, konnte sich als schwierig erweisen. Und doch konnte ich wohl kaum einfach alles hinwerfen und abhauen. Ich halte nichts von dem Ausdruck «Rückzug», doch genau danach war mir zumute. Ich war es leid, ständig Puzzles lösen zu müssen. Argentinien war ein schönes Land. Ich wollte in Mar del Plata am Strand sitzen und den Regatten in Tigre zusehen oder den Nahuel-Huapi-See besuchen. Unglücklicherweise ließ mich niemand das tun, was ich wollte. Und sosehr ich mir auch wünschte, dass die Dinge anders wären, ich wusste keinen Weg, wie ich dies bewerkstelligen sollte. Allerdings beschloss ich, in Zukunft meiner eigenen Prioritätenliste zu folgen und die Dinge in der Reihenfolge zu erledigen, die mir vorschwebte.
    Ich hasste ungelöste Fälle, auch wenn ich Montalban etwas anderes erzählt hatte. Es hatte mich immer gestört, dass ich den Mörder von Anita Schwarz nie gefunden hatte. Nicht nur wegen meines beruflichen Stolzes, sondern auch wegen Paul Herzefeldes Vermächtnis. Deswegen fuhr ich nach meiner Entlassung aus dem Hospital als Erstes zu Helmut Gregor. Inzwischen wusste ich eigentlichziemlich genau, wer er war und welche Absichten er hatte, doch ich wollte ganz sicher sein, bevor ich den

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