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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Colonel damit konfrontierte.
    Helmut Gregor wohnte im schönsten Teil von Florida. Das Gebäude in der Calle Arenales 2640 war ein großes, hübsches Herrenhaus, im Kolonialstil erbaut und mit viel weißem Stuck verziert, das einem wohlhabenden argentinischen Geschäftsmann namens Gerard Malbranc gehörte. Entlang der Vorderseite zog sich eine Säulenveranda, und an die gemauerte Balustrade gekettet lag ein Hund, der sich Mühe gab, die langhaarige Katze, die ihm provokant nahe kam, zu ignorieren, da sie offenbar die Herrin im Haus war.
    Ich wollte mich vor dem Haus auf die Lauer legen. Ich hatte eine Thermoskanne Kaffee dabei, ein wenig Cognac, zwei Zeitungen und mehrere deutsche Bücher aus dem Buchladen im Dürer-Haus. Ich hatte mir sogar ein kleines Teleskop ausgeliehen. Es war eine hübsche, ruhige Straße, und trotz meiner besten Absichten ließ ich Zeitungen und Bücher erst einmal liegen und schlief mit einem offenen Auge. Einmal wurde ich wach, als ein sehr attraktives Paar auf zwei noch schöneren Pferden vorbeigeritten kam. Sie ritten auf Englischen Sätteln. Florida war kein Viertel, in dem man oft etwas so Malerisches zu Gesicht bekam. Auf der Calle Arenales sah ein Gaucho ungefähr so gewöhnlich aus wie ein Fußball auf dem Altar einer Kathedrale.
    Als ich das nächste Mal aufblickte, sah ich einen Lieferwagen von Gath & Chaves, der ein neues Bett an eine Frau in einem rosafarbenen Morgenmantel auslieferte. Ihrer Garderobe nach zu urteilen, plante sie offenbar, sich in dem Moment in ihr neues Bett schlafen zu legen, in dem die beiden Affen, die es in ihrer Wohnung aufstellten, wieder zurück in ihrem Wagen waren. Ich hätte nichts dagegen gehabt, ihr Gesellschaft zu leisten.
    Am späten Nachmittag, ich war bereits seit ein paar Stunden dort, tauchte ein Streifenwagen in der Straße auf. Ein uniformierter Polizist und ein etwa vierzehnjähriges Mädchen stiegen aus. Der Polizist war alt genug, um ihr Großvater zu sein. Vielleicht war erihr
caballero blanco
, wie die
porteños
ältere Gönner und Liebhaber zu nennen pflegten – doch normalerweise verdienten uniformierte Polizisten nicht genügend Geld, um damit irgendjemand anderen als ihre fetten Weiber und ihre hässlichen Kinder zu ernähren. Natürlich konnte er auch der Vater sein, der seine atemberaubend hübsche Tochter zu einem Termin mit dem Hausarzt brachte – die meisten Väter allerdings steckten ihre Töchter nicht in Handschellen. Es sei denn, sie waren sehr böse Mädchen.
    Der Hund fing in dem Moment an zu bellen, als sie die Stufen zur Eingangstür hinaufstiegen. Der Polizist tätschelte dem Tier den Kopf, und es beruhigte sich sofort wieder.
    Durch das Fernrohr beobachtete ich, wie die Tür aus poliertem schwarzem Holz von einem Mann in einem hellen Tweedanzug geöffnet wurde. Er hatte dunkles Haar und einen gestutzten Schnurrbart im Errol-Flynn-Stil. Er und der Polizeibeamte schienen einander zu kennen. Er lächelte, und eine breite Zahnlücke zwischen den beiden vorderen oberen Schneidezähnen war zu sehen. Er legte dem Mädchen onkelhaft die Hand auf die Schulter und redete in freundlichem Tonfall mit ihr. Das Mädchen, das bis zu diesem Moment nervös gewirkt hatte, schien sich zu beruhigen. Der Mann deutete auf die Handschellen, und der Beamte nahm sie ab. Das Mädchen rieb sich die Handgelenke und steckte dann den Daumennagel zwischen die Zähne. Sie hatte langes braunes Haar, und ihre Haut hatte die Farbe von Honig. Sie trug ein rotes Kleid aus Cordsamt und rot-schwarze Strümpfe. Ihre Knie berührten sich, wenn sie redete, und wenn sie lächelte, dann war es, als käme die Sonne hinter einer Wolke hervor. Der Mann aus dem Haus bat das Mädchen einzutreten und bedeutete auch dem Polizisten hereinzukommen. Der Beamte schüttelte den Kopf. Der Mann ging nach drinnen, die Tür schloss sich, und der Polizist ging zu seinem Streifenwagen. Er stieg ein, rauchte eine Zigarette, dann schob er sich die Schirmmütze tief in die Stirn und lehnte sich zu einem Nickerchen zurück.
    Ich sah auf meine Armbanduhr. Es war zwei Uhr mittags.
    Eineinhalb Stunden vergingen, bis sich die Tür des Hauses wieder öffnete. Der Mann im hellen Tweedanzug begleitete das Mädchen nach draußen auf die Veranda. Er nahm die Katze auf den Arm und zeigte ihr das Tier. Das Mädchen streichelte den Kopf der Katze und steckte sich ein Bonbon in den Mund. Der Mann setzte die Katze wieder ab, und sie stiegen die Treppe hinunter. Sie bewegte sich langsam; sie ging

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