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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Beifahrerseite ein.
    «Dieser Wagen hat einem Admiral gehört, der einen Staatsstreich geplant hatte», sagte er. «Können Sie sich einen Admiral vorstellen, der so einen Wagen fährt?» Er steckte sich eine Zigarette an und fuhr durch das Tor nach draußen.
    «Wo ist er jetzt? Der Admiral?»
    «Verschwunden. Vielleicht in Paraguay. Vielleicht ist er auch in Chile. Oder sonst wo, ich weiß es nicht genau. Manchmal ist es besser, solche Fragen nicht zu stellen. Verstehen Sie?»
    «Ich denke, ja. Aber wer kümmert sich jetzt um die Marine?»
    «In Argentinien sind die einzigen wirklich sicheren Antworten die, die man sich selbst gibt. Deshalb gibt es hier so viele Psychoanalytiker.»
    Wir fuhren ostwärts, in Richtung Río de la Plata.
    «Tatsächlich? Gibt es so viele Psychoanalytiker in Argentinien?»
    «O ja. Sehr viele. Hier in Buenos Aires liegen mehr auf der Couch als an irgendeinem anderen Ort der Welt. Niemand in Argentinien hält sich für so vollkommen, dass er sich nicht noch ein wenig verbessern könnte. Nehmen Sie beispielsweise sich selbst. Ein wenig Psychoanalyse könnte Ihnen helfen, sich aus Scherereien herauszuhalten. Jedenfalls dachte ich das. Deswegen habe ich auch dafür gesorgt, dass Sie zwei der besten Leute in der Stadt besuchen. Damit Sie sich selbst und Ihre Beziehungen zur Gesellschaft besser verstehen. Und damit Sie verstehen, was ich Ihnen schon einmal gesagt habe: In Argentinien weiß man besser alles als zu viel. Selbstverständlich können meine Männer Ihnen bei der Selbstfindung helfen. Es sind auch nicht so viele Sitzungen erforderlich. Manchmal reicht schon eine einzige. Und sie sind selbstverständlich sehr viel preiswerter als die Sorte Freudianischer Analytiker, die die meisten Menschen besuchen. Die Ergebnisse hingegen sind, wie Sie sicherlich zugeben müssen, geradezu atemberaubend. Es geschieht nur selten, dass ein Patient aus einer Sitzung in Caseros kommt ohne ein tiefes Verständnis für die Dinge, die nötig sind, um in einer Stadt wie Buenos Aires zu überleben. Ja. Ja, ich glaube fest daran. Diese Stadt bringt einen um, es sei denn, man ist seelisch darauf eingestellt, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Ich hoffe, dass ich mich nicht allzu kompliziert ausgedrückt habe.»
    «Ganz und gar nicht, Colonel. Ich verstehe ganz genau, was Sie meinen.»
    «Im Handschuhfach finden Sie einen Flachmann», sagte er. «Manchmal bekommt man von so einer Schnelltherapie Durst.»
    Im Flachmann war Cognac. Er schmeckte einfach nur gut. Ich atmete tief durch, als hätte jemand ein Fenster geöffnet. Ich bot dem Colonel den Flachmann an. Er schüttelte den Kopf und grinste.
    «Sie sind ein netter Kerl, Gunther. Ich würde es bedauern, wenn Ihnen etwas zustößt. Ich habe es schon einmal gesagt, Sie waren ein richtiger Held für mich. Ein Mann sollte einen Helden für sich haben, meinen Sie nicht auch?»
    «Das ist sehr freundlich von Ihnen, Colonel.»
    «Rodolfo   – Rodolfo Freude, der Chef des SIDE – denkt, dass mein Glaube an Ihre Fähigkeiten irrational ist. Vielleicht hat er recht. Aber er ist kein richtiger Polizist, wie wir es sind, Gunther. Er versteht nicht, was es braucht, um ein großer Detektiv zu sein.»
    «Ich bin nicht sicher, ob ich selbst das verstehe, Colonel.»
    «Dann werde ich es Ihnen erklären. Um ein großer Detektiv zu sein, muss man auch ein Protagonist sein. Ein dynamischer Charakter, der die Dinge anpackt, allein durch seine Gegenwart. Ich denke, Sie sind so ein Mensch, Gunther.»
    «Im Schach nennen wir das ein Gambit. Üblicherweise ist ein Bauern- oder Springeropfer damit verbunden.»
    «Ja. Das ist durchaus möglich.»
    Ich lachte. «Sie sind ein interessanter Mann, Colonel. Ein wenig exzentrisch vielleicht, aber sehr interessant. Und glauben Sie nicht, ich wüsste ihr Vertrauen in mich nicht zu schätzen – ich schätze es sehr. Beinahe genauso wie Ihren Cognac und Ihre Zigaretten.» Ich nahm sein Päckchen und steckte mir eine an.
    «Gut. Ich möchte nicht, dass eine zweite Therapiesitzung in Caseros nötig wird.»
    Es war Abend. Die Läden schlossen, die Clubs öffneten. Überall in der Stadt waren die Menschen niedergeschlagen, weil sie so weit entfernt vom Rest der zivilisierten Welt leben mussten. Ich konnte ihre Gefühle sehr genau verstehen. Ich wusste, wie ihnen zumutewar. Auf der einen Seite der Ozean, auf der anderen die riesige Leere der Pampa. Wir alle waren umgeben vom Nichts. Wir alle hatten keinen anderen Ort mehr, an dem wir zu Hause

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