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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Standartenführer namens Kassner, der ebenfalls für die   I.G.   Farben gearbeitet hatte. Wie dem auch sei, Mengele hat seine Unterlagen niemals erhalten. Er glaubt, dass sie verlorengingen, als ein Frachtraum des Schiffes, das sie von Europa nach Südamerika brachte, versehentlich geflutet wurde. Tatsächlich jedoch wurden die Akten von meinen Männern abgefangen.
    Ich hatte schon einen Verdacht, wer dieser Helmut Gregor in Wirklichkeit war, bevor ich die Akten in die Hände bekam, und dass er hier in Buenos Aires illegale Abtreibungen durchführte. Ich dachte, dass Perón ihm junge Mädchen schickte, die er geschwängert hatte, doch ich konnte nichts beweisen. Ich wagte es nicht. Nicht einmal dann, als eine von Peróns
fruta inmadura
, wie er seine minderjährigen Freundinnen nennt, tot aufgefunden wurde. Ihr Name war Grete Wohlauf. Und sie war an einer Infektion gestorben, die sie sich während einer Abtreibung zugezogen hatte. Als Mengeles Unterlagen auftauchten, wurde mir klar, dass er der Mann war, nach dem Sie gesucht hatten. Und ich beschloss, Ihr Interesse an diesem Fall neu zu wecken – auf eine Weise, die mir zum Vorteil gereichte. Ich beauftragte den Forensiker, die Tote zu verstümmeln, um Ihre Neugier anzustacheln.»
    «Aber warum haben Sie mir nicht einfach reinen Wein eingeschenkt?»
    «Weil es seinen Zweck nicht erfüllt hätte. Mengele genießt denSchutz von Perón. Sie haben es geschafft, diesen Schutz zu umgehen. Ich hätte nicht tun können, was Sie getan haben, und weiterhin Peróns Vertrauen genießen. Wie Sie selbst sagten – sie waren mein Bauernopfer, Herr Gunther. Als ich hörte, dass Peróns Leute Sie verhaftet und nach Caseros gebracht hatten, konnte ich meinen Einfluss an anderer Stelle geltend machen und Ihre Freilassung bewirken. Allerdings nicht, ohne Ihnen zuvor eine Lektion zu erteilen. Wie ich Ihnen schon einmal gesagt habe, es ist keine gute Idee, Fragen über Direktive elf zu stellen.»
    «So viel weiß ich jetzt. Und Fabienne von Bader? Ist sie tatsächlich verschwunden?»
    «O ja. Haben Sie eine Spur gefunden, die zu ihr führt?»
    «Nein. Doch ich fange an zu begreifen, warum sie verschwunden ist. Ihr Vater gehört zu jenen Leuten, die die Kontrolle über die Schweizer Konten der Reichsbank ausüben, und die Peróns wollen dieses Geld in die Finger bekommen. Ich glaube daher, dass die von Baders ihre Tochter zu ihrem eigenen Schutz versteckt haben. Damit die Peróns das Kind nicht als Druckmittel einsetzen können, um ihren Vater gefügig zu machen. Irgendwas in der Art, nehme ich an.»
    Der Colonel lächelte. «Wie immer ist die Sachlage ein wenig komplizierter als das.»
    «Tatsächlich? Wie viel komplizierter?»
    «Ich denke, das werden Sie bald selbst herausfinden.»

SIEBZEHN
BUENOS AIRES
1950
    Der Colonel fuhr am Arbeitsministerium vorbei, wo wie üblich eine lange Menschenschlange darauf wartete, zu Evita vorgelassen zu werden. Wir fuhren um die Ecke und blieben vor dem großen Eingang zu einem anonymen Gebäude stehen.
    Ich hatte mir unterdessen durch den Kopf gehen lassen, was der Colonel mir über Mengele erzählt hatte. Als wir aus dem Wagen stiegen, eröffnete ich ihm, dass ich wahrscheinlich eine Menge Zeit damit verschwendet hatte, mit den alten Kameraden zu sprechen. Zeit, die ich nach einem diskreten Hinweis seinerseits anderweitig hätte nutzen können.
    «Wir haben ein Sprichwort», entgegnete er. «Um eine gute Katze zu sein, braucht es mehr als eine tote Maus.»
    Vor der Tür nahm er einen Schlüsselbund aus der Tasche, sperrte auf und führte mich hinein. «Als ich Mengeles private Unterlagen durchsah, musste ich daran denken, wie wenig wir doch tatsächlich über all die ehemaligen Nazis wussten, die nach Argentinien gekommen waren. Perón mag es vielleicht egal sein, was sie und die anderen alle während des Krieges getrieben haben, doch das galt selbstverständlich nicht für mich. Schließlich war es mein Beruf, Informationen über Menschen zusammenzutragen. Also beschloss ich, dass es höchste Zeit war, Akten über all unsere ‹Gastarbeiter› anzulegen. Ich hatte so eine Ahnung, dass Sie am besten von allen geeignet wären, das zu bewerkstelligen.»
    Er schloss die Tür hinter uns. Wir stiegen eine stille Treppe hinauf. Das Geländer klebte vor Holzpolitur, und die Marmorstufenwaren so weiß und sauber wie frisch gefallener Schnee. Auf dem ersten Treppenabsatz hing ein Bild von Evita Perón an der Wand. Sie trug ein blaues Kleid mit weißen

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