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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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versprach ich.
    Er rollte einen Ärmel hoch und enthüllte den Blick auf einen schockierend dichtbehaarten Unterarm. Irgendwo in Argentinien gab es wahrscheinlich ein Kuriositätenkabinett, aus dem das fehlende Glied zwischen Affen und Menschen entflohen war. Er krempelte und krempelte, bis er ganz oben bei der Achselhöhle angekommen war. Wahrscheinlich wollte er nicht, dass etwas auf sein Hemd kam. Wenigstens sah er aus wie jemand, der seine Arbeit ernst nahm.
    «Ich würde gern den Namen der Person erfahren, die Ihnen von Direktive elf erzählt hat.»
    «Irgendjemand in der Casa Rosada. Einer meiner Kollegen, vermute ich. Ich weiß nicht mehr genau, wer es war. Verstehen Sie – man hört alle möglichen Dinge an einem Ort wie diesem.»
    Der kleine haarige Mann riss mir das Hemd auf, sodass die Narbe an meinem Halsansatz sichtbar wurde. Er betastete sie mit seinem schmutzigsten Fingernagel. «Aua. Sie hatten eine Operation. Verzeihen Sie, das wusste ich nicht. Was hat man denn gemacht?»
    «Man hat mir die halbe Schilddrüse entfernt.»
    «Warum?»
    «Sie war von Krebs befallen.»
    Er nickte. Es sah beinahe mitfühlend aus. «Es heilt hübsch zusammen.» Dann berührte er die Narbe mit dem Ende des Viehstocks. Zum Glück für mich war er nicht eingeschaltet – noch nicht. «Normalerweise konzentrieren wir uns auf die Genitalien. In Ihrem Fall allerdings denke ich, wir sollten eine Ausnahme machen.» Er machte eine Kopfbewegung zu dem großen Mann, der mich festhielt. Wenige Sekunden später war ich an den Stuhl in meiner Zelle gefesselt.
    «Der Name der Person, die Ihnen von Direktive elf erzählt hat, bitte», verlangte er.
    Ich versuchte Anna Yagubskys Namen in die entfernteste Ecke meines Gehirns zu verdrängen. Nicht, weil ich befürchtete, ich könnte erzählen, dass Anna die Person war, sondern weil ich gesehen hatte, wie Schmerz Worte aus einem Mann locken konnte. Mir gefiel die Vorstellung nicht, was ein Duo wie diese beiden Kerle mit einer Frau wie Anna tun würde. Also redete ich mir ein, dass Marcello, der leitende Beamte in der Archivabteilung der Casa Rosada, der Mann gewesen war, der mir von Direktive elf erzählt hatte. Nur für den Fall, dass sie mich zum Reden brachten. Ich schüttelte den Kopf. «Hören Sie. Ich erinnere mich nicht. Ehrlich nicht. Es ist Wochen her. Wir haben uns unterhalten im Archiv, mit mehreren Leuten. Es kann jeder von ihnen gewesen sein.»
    Doch er hörte mir gar nicht zu. «Warten Sie», sagte er. «Ich helfe Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge.» Er berührte mein Knie mit dem Viehstock, und diesmal war er eingeschaltet. Der Schmerz ließ mein Bein mehrere Minuten lang unkontrolliert zucken, mit dem Ergebnis, dass ich mitsamt dem Stuhl durch die Zelle wanderte.
    «Fühlt sich gut an, oder?», fragte der Kerl. «Und Sie werden glauben, dass es nur ein Kitzeln war, wenn ich den Stock erst auf Ihrer nackten Haut anwende.»
    «Ich lache jetzt schon.»
    «Dann fürchte ich, dass ich als Letzter lache.» Er kam erneut mitdem Viehstock auf mich zu. Diesmal zielte er auf die Narbe an meinem Hals. Einen Sekundenbruchteil sah ich die Reste meiner Schilddrüse in meiner Kehle brutzeln wie ein Stück gebratene Leber. Dann sagte eine Stimme im Befehlston: «Ich denke, das reicht. Binden Sie ihn los.» Die Stimme kam mir bekannt vor. Colonel Montalban.
    Die beiden Männer protestierten nicht. Ich sowieso nicht. Meine beiden Möchtegern-Folterknechte gehorchten augenblicklich, fast als hätten sie erwartet, aufgehalten zu werden. Montalban zündete eine Zigarette an und steckte sie mir in den dankbaren, zitternden Mund.
    «Ich bin vielleicht froh, Sie zu sehen!», sagte ich.
    «Kommen Sie», sagte er leise. «Verschwinden wir von hier.»
    Ich widerstand der Versuchung, dem Kerl mit dem Viehstock noch einige Abschiedsworte mitzugeben, und folgte dem Colonel nach draußen in den Hof der alten Festung. Dort parkte ein hübscher weißer Jaguar. Ich nahm einen tiefen Atemzug und war fast euphorisch, so erleichtert war ich. Montalban öffnete den Kofferraum des Jaguar und reichte mir ein sauber gefaltetes Hemd und eine Krawatte, die mir vage bekannt vorkam.
    «Hier», sagte er. «Das habe ich aus Ihrem Hotelzimmer mitgebracht.»
    «Das war sehr aufmerksam von Ihnen, Colonel», sagte ich, während ich die zerfetzten Überreste meines alten Hemds aufknöpfte.
    «Nicht der Rede wert», sagte Montalban und öffnete die Fahrertür.
    «Immer ein schickes Auto, Colonel», sagte ich und stieg auf der

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