Das letzte Experiment
waren. Vielleicht ergaben sich die meisten Menschen einfach in dieses Schicksal. Genau wie damals in Nazi-Deutschland. Ich war anders. Ich sagte das eine und dachte das andere.
«Ich verstehe, Colonel», sagte ich. «Würde ich nicht sitzen, würde ich jetzt die Hacken zusammenschlagen und salutieren.» Ich nahm einen weiteren Schluck Cognac. «Von diesem Augenblick an trage ich Scheuklappen und einen Zungenriemen.» Ich deutete durch die Windschutzscheibe nach draußen. «Nur noch die Straße vor mir und nichts anderes.» Ich lachte ein ironisches Lachen, ganz so, als hätte ich eine harte Lektion gelernt.
Der Colonel schien erfreut über mein Einlenken. «Jetzt kommen wir der Sache näher», sagte er. «Tut mir leid, dass es Sie ein Hemd gekostet hat, das zu begreifen.»
«Ich kann mir ein neues Hemd kaufen, Colonel», sagte ich und gab mich immer noch betont verzagt. «Eine neue Haut ist schwieriger zu beschaffen. Ich brauche keine weitere Warnung mehr. Ich verspüre nicht den Wunsch, in diesem Leichenschauhaus zu enden. Wo wir gerade davon reden – das Mädchen, Grete Wohlauf –, ich bin nicht sicher, ob ich ihren Mörder gefunden habe, aber ich habe den Mann gefunden, der die beiden Morde in Deutschland begangen hat, vor achtzehn Jahren. Sie hatten recht. Er lebt hier in Buenos Aires. Wie ich bereits sagte, ich weiß nicht, ob er etwas mit dem Tod von Grete Wohlauf zu tun hat oder ob er irgendetwas über Fabienne von Bader weiß. Es würde mich nicht überraschen, denn er geht dem gleichen Geschäft nach wie damals – illegale Abtreibungen. Sein richtiger Name ist Josef Mengele, doch er lebt unter dem Namen Helmut Gregor in Argentinien. Ich nehme an, das wissen Sie bereits alles. Wie dem auch sei, Sie können alles Weitere in einem Geständnis nachlesen, das zu verfassen ich ihn überzeugen konnte. Ich habe es in meinem Hotelzimmer versteckt.»
Colonel Montalban griff in die Brusttasche und zog den Umschlag hervor, der Mengeles handgeschriebenes Geständnis enthielt. «Meinen Sie das hier?»
«Sieht jedenfalls danach aus.»
«Als wir Sie verhaften ließen, haben wir selbstverständlich auch Ihr Zimmer im Hotel San Martín durchsucht.»
«Selbstverständlich. Ich nehme an, Sie werden das Geständnis jetzt vernichten?»
«Ganz im Gegenteil. Ich werde es an einem sehr, sehr sicheren Ort aufbewahren. Möglicherweise kommt eine Zeit, in der es sich als nützlich erweisen könnte.»
«Sie meinen, wenn Sie Mengele loswerden wollen?»
«Er ist unwichtig. Nein, ich meine die Peróns. Wir leben in einem sehr katholischen Land, Herr Gunther. Selbst eine Wählerschaft, die gekauft und bezahlt ist, wird ihre liebe Not haben, für einen Präsidenten zu stimmen, der einen Nazi-Kriegsverbrecher dafür eingesetzt hat, illegale Schwangerschaftsabbrüche an minderjährigen Mädchen vorzunehmen, mit denen er Sex gehabt hat. Selbstverständlich hoffe ich, dass ich diese Aussage niemals benötige, doch an einem sicheren Ort verwahrt wird sie zu einer sehr nützlichen Versicherungspolice. Für einen Mann wie mich auf einem sehr unsicheren Posten ist es die beste Arbeitsplatzgarantie, die man sich vorstellen kann. Ich habe bereits seit geraumer Zeit vermutet, dass etwas in der Art vor sich geht, doch ich konnte es nicht mit Perón in Zusammenhang bringen. Bis Sie gekommen sind.»
«Woher konnten Sie denn wissen, dass er der Mann ist, nach dem ich 1932 gesucht habe?», fragte ich. «Ich habe es doch selbst gerade erst herausgefunden.»
«Einen Monat oder zwei nach Mengeles Ankunft in Argentinien kam eine Kiste mit Unterlagen aus Deutschland, adressiert an einen gewissen Helmut Gregor hier in Buenos Aires. Es waren Mengeles Forschungsunterlagen aus seiner Zeit im Reichsamt in Berlin und in Auschwitz. Es scheint, als wäre der liebe Doktor nicht willens, sichvon seinem Lebenswerk zu verabschieden, und weil er sich in Argentinien sicher fühlte, ließ er sich sämtliche Papiere von jemandem in seiner Heimatstadt Günzburg hierher nach Buenos Aires schicken. Nicht nur die Forschungsunterlagen. Auch eine S S-Akte sowie eine Gestapo-Akte. Aus irgendeinem Grund enthielt die Gestapo-Akte Ihre Ermittlungsakten aus der Kripo-Zeit. Die Unterlagen, die ich Ihnen gab, als Sie anfingen, für mich zu arbeiten. Es sieht so aus, als hätte irgendjemand versucht, den Fall Anita Schwarz während des Krieges erneut aufzurollen. Er musste aufgeben, weil jemand anderes weiter oben in der Befehlskette der SS Mengele schützte. Ein
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