Das letzte Experiment
heute Morgen angerufen hatten, erhielt ich einen weiteren Anruf, von Hannah, einer gemeinsamen Freundin. Hannah hat die Wohnung über Isabel. Sie liegt im Once. Das ist das
barrio
, das offiziell Balvanera heißt. Historisch ist es das Viertel, in dem die jüdischen Bewohner der Stadt gelebt haben. Viele wohnen heute noch dort. Wie dem auch sei, Isabel wurde heute Morgen tot in ihrer Wohnung gefunden. Hannah fand sie. Sie saß in der Badewanne, mit aufgeschnittenen Pulsadern, als hätte sie sich das Leben genommen.»
«Als hätte?»
«Isabel war eine Kämpferin. Sie war keine Selbstmordkandidatin. Absolut nicht, nicht nach allem, was sie durchgemacht hat. Und ganz bestimmt nicht, solange Hoffnung besteht, dass ihre beiden kleinen Schwestern noch am Leben sind. Verstehen Sie …»
«Ich weiß. Sie hat mir von ihren Schwestern erzählt. Wir haben uns gestern Abend getroffen. Sie sah gewiss nicht aus wie jemand, der nach Hause geht und sich die Pulsadern aufschneiden würde.»
«Sie haben sich mit ihr getroffen?»
«Sie rief in meinem Hotel an, und wir verabredeten uns in einem Lokal, dem Club Seguro. Sie hat mir alles erzählt. Ich denke, Sie haben recht, wenn Sie daran zweifeln, dass sie eine echte Schauspielerin war, Anna, aber Sie haben auch recht mit Ihrer Annahme, dass sie ein guter Mensch war. Ich mochte sie jedenfalls. Ich mochte sie tatsächlich genug, um mit ihr ins Bett zu gehen. Ich wünschte, ich hätte es getan. Vielleicht wäre sie dann noch am Leben.»
«Warum haben Sie es nicht getan? Mit ihr geschlafen?»
«Alle möglichen Gründe. Ich hatte einen verdammt schweren Tag gestern.»
«Ich habe zweimal bei Ihnen angerufen. Sie waren nicht da.»
«Ich wurde verhaftet. Kurzfristig.»
«Warum?»
«Das ist eine lange Geschichte. Wie die von Isabel. Hauptsächlich allerdings bin ich Ihretwegen nicht mit Isabel gegangen, Anna. Jedenfalls habe ich mir das heute Morgen gesagt. Ich war ziemlich stolz auf mich, weil ich der Versuchung widerstanden hatte, mit Isabel ins Bett zu gehen. Jedenfalls bis eben. Bis Sie mir erzählt haben, dass sie tot ist.»
«Dann denken Sie also, dass ich recht habe? Dass sie wahrscheinlich ermordet wurde?»
«Ja.»
«Aber warum? Warum sollte irgendjemand Isabel ermorden?»
«Ihre Schauspielerei ist nicht ganz frei von Risiken», sagte ich. «Doch das ist meiner Meinung nach nicht der Grund, weshalb siegetötet wurde. Ich denke eher, es hat etwas mit mir zu tun. Vielleicht wurde ihr Telefon angezapft. Oder meines. Vielleicht wurde sie beschattet. Oder vielleicht werde ich beschattet. Ich weiß es nicht.»
«Wissen Sie denn, wer es war?»
«Ich habe eine ziemlich genaue Vorstellung, wer den Befehl erteilt hat, aber es ist besser, wenn Sie nicht mehr wissen als das, was ich Ihnen bereits erzählt habe. Es ist auch so schon ziemlich gefährlich.»
«Dann müssen wir zur Polizei gehen.»
«Nein, ganz und gar nicht.» Ich konnte mir angesichts ihrer Naivität ein Grinsen nicht verkneifen. «Nein, Engel, wir gehen bestimmt nicht zur Polizei.»
«Wollen Sie andeuten, dass die Polizei etwas damit zu tun hat?»
«Ich deute überhaupt nichts an. Hören Sie, Anna – ich bin hergekommen, um Ihnen zu sagen, dass ich möglicherweise etwas herausgefunden habe. Etwas Wichtiges über Direktive elf. Einen Ort auf der Landkarte. Ich hatte diese dumme, romantische Vorstellung, dass Sie und ich gemeinsam in den Nachtzug nach Tucumán steigen und uns diesen Ort ansehen könnten. Aber das war, bevor ich von Isabel Pekermans Tod erfahren habe. Jetzt denke ich, es ist besser, wenn ich gar nichts mehr sage. Über irgendetwas.»
«Und Sie glauben, dass Sie in meinen Augen nicht dumm und romantisch erscheinen, wenn Sie versuchen, mich wie ein Schulmädchen vor einer drohenden Gefahr zu beschützen?»
«Glauben Sie mir, Anna», entgegnete ich. «Es ist sicherer, wenn ich nichts mehr sage.»
Sie seufzte. «Na, das wird ja ein interessantes Essen. Wenn Sie kein Wort sagen, meine ich.»
Der Kellner kam mit dem Wein. Er öffnete die Flasche, und wir spielten das alte Spiel mit: Ich kostete, bevor er zunächst ihr, dann mir ein Glas einschenkte. Es war so absurd wie eine japanische Teezeremonie. Sobald er Annas Glas gefüllt hatte, nahm sie es undleerte es in einem Zug. Der Kellner lächelte verlegen und wollte nachschenken. Anna nahm ihm die Flasche aus der Hand, füllte ihr Glas selbst und leerte es genauso schnell wie das erste.
«Und über was sollen wir uns jetzt unterhalten?», fragte
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