Das letzte Experiment
sie schließlich.
«Seien Sie vorsichtig mit diesem Zeug», warnte ich.
Der Kellner zog sich zurück. Er spürte offensichtlich, dass er nur störte.
«Wir könnten über Fußball reden, denke ich», sagte sie. «Oder über Politik. Oder über die neuesten Filme im Kino. Aber Sie sollten anfangen. Sie sind besser als ich im Verdrängen bestimmter Themen. Sie haben darin schließlich mehr Übung als ich, oder nicht?» Sie schenkte ihr Glas ein weiteres Mal voll. «Ich weiß – reden wir über den Krieg. Oder noch besser, reden wir über
Ihren
Krieg. Was haben Sie im Krieg überhaupt gemacht? Gestapo? SS? Haben Sie in einem Konzentrationslager gearbeitet? Haben Sie Juden ermordet? Viele Juden? Sind Sie hier, weil Sie ein Nazi-Kriegsverbrecher sind und weil ein Preis auf Ihren Kopf ausgesetzt ist? Wird man Sie hängen, wenn man Sie jemals schnappt?» Sie steckte sich nervös eine Zigarette an. «Wie schlage ich mich bis jetzt darin, nicht über das zu reden, weswegen wir uns hier getroffen haben? Ach ja, was hat Sie eigentlich bewogen, mich als Klientin anzunehmen, Bernie? Schuldgefühle? Versuchen Sie, etwas wiedergutzumachen, was Sie im Krieg verbrochen haben? Ihr Gewissen zu besänftigen? Ist es das? Ja, ich könnte mir vorstellen, dass Sie so funktionieren.»
Ihre Augen verengten sich, und sie biss sich auf die Unterlippe, als legte sie ihr gesamtes Körpergewicht in die verbalen Peitschenschläge, die sie mir versetzte.
«Der S S-Mann mit dem Gewissen. Was für eine Story, wenn man es bedenkt. Ein wenig schmalzig, aber wahre Geschichten klingen oft so, finden Sie nicht auch? Die Jüdin und der deutsche Offizier. Jemand sollte eine Oper schreiben darüber. Eine von diesen Avantgarde-Opern mit schrillen Liedern und schrägen Tönen. Allerdingssollte der Bariton, der Ihre Rolle spielt, jemand sein, der nicht richtig singen kann. Oder besser noch – nicht singen will. Das könnte sein Leitmotiv sein. Und Ihres? Irgendetwas Ohnmächtiges, Repetitives und Hoffnungsloses.»
Anna nahm ihr Glas und trank es wieder auf einen Zug leer, doch diesmal stand sie auf, als sie fertig war. «Danke fürs Essen», sagte sie.
«Setzen Sie sich», sagte ich. «Sie benehmen sich wie ein Kind.»
«Vielleicht liegt es daran, dass Sie mich wie eins behandeln!»
«Vielleicht. Aber das ist mir immer noch lieber, als Ihren Leichnam auf einem Untersuchungstisch im Leichenschauhaus anzusehen. Das ist mein einziges
wirkliches
Motiv, Anna.»
«Jetzt klingen Sie wie mein Vater. Nein, aber was rede ich – Sie sind ja viel älter als er.»
Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging.
Ich leerte den Rest der Flasche und ging zur Casa Rosada, um die Informationen durchzusehen, die Montalban mir über die alten Kameraden in Argentinien gegeben hatte. In den Unterlagen stand nichts über einen Hans Kammler. Allerdings fehlte auch Otto Skorzeny. Wie es schien, waren einige der alten Kameraden über jeden Verdacht erhaben. Später rief ich Geller an, um ihn zu informieren, dass ich erneut nach Tucumán kommen würde, und anzufragen, ob ich mir seinen Jeep ausleihen könne.
«Hast du etwa vor, Riccardo erneut einen Besuch abzustatten?», fragte er. «Er hat mir nämlich immer noch nicht verziehen, dass ich dir verraten habe, wo er jetzt lebt.» Geller lachte. «Ich glaube, er mag dich nicht.»
«Er mag mich ganz bestimmt nicht.»
«Nebenbei bemerkt, du hast nach Mistkerlen gefragt, die uns Mistkerlen einen schlechten Ruf verschaffen. Du errätst nie, wer kürzlich hier oben aufgetaucht ist. Otto Skorzeny.»
«Arbeitet Skorzeny ebenfalls für CAPRI?»
«Das ist das Merkwürdige an der Sache. Er arbeitet nicht für CAPRI. Zumindest nicht nach dem, was in meinen Unterlagen steht.»
«Versuch rauszufinden, was er dort oben macht», sagte ich. «Und wenn du schon dabei bist, versuch bitte auch etwas über einen Mann namens Hans Kammler rauszufinden.»
«Kammler? Nie gehört, den Namen.»
«Er war ein hohes Tier bei der SS, Pedro.»
Geller stöhnte auf.
«Was denn?»
«Warum hab ich mich nur auf diesen Namen eingelassen?», sagte er. «Jedes Mal, wenn ich ihn höre, zucke ich innerlich zusammen. Pedro – so heißen Bauern. Bald rieche ich nach Pferdemist.»
«Nicht so stark, dass man es merken würde, Pedro. Nicht in Tucumán jedenfalls. Alles stinkt nach Pferdescheiße in Tucumán.»
Am Abend fuhr ich zum Bahnhof. Wie üblich herrschte hektischer Betrieb. Viele der Reisenden waren Indianer aus Paraguay und Bolivien, und sie
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