Das letzte Experiment
Ein Mann wie Colonel Montalban hatte für alles einen Grund. «Leistet Ihre Frau uns diesmal keine Gesellschaft?», fragte ich von Bader scheinheilig, während er die Salontür hinter uns schloss.
«Ich fürchte, nein», antwortete er kühl. «Sie ist in unserem Wochenendhaus in Pilar. Ich fürchte, das alles war furchtbar anstrengend für sie.»
«Das glaube ich gern», sagte ich. «Aber das macht die Sache vielleicht auch einfacher, denke ich.» Als ich seinen verständnislosen Gesichtsausdruck bemerkte, fügte ich hinzu: «Mit Ihnen über Fabiennes richtige Mutter zu reden.» Ich ließ ihn einen Moment zappeln, bevor ich fortfuhr. «Die Gemahlin des Präsidenten hat mir die ganze Geschichte erzählt.»
«Oh. Ich verstehe. Ja, das macht die Sache in der Tat einfacher.»
«Sie hat gesagt, Ihre Tochter hätte einen Streit von Ihnen beiden mit angehört und sei dann weggelaufen.»
«Ja. Es tut mir leid, Herr Gunther, dass ich Sie auf eine falsche Spur geführt habe», sagte von Bader. Er trug einen anderen Anzug als beim letzten Mal, doch er sah wieder aus, wie nur die ganz Reichen aussehen: selbstverständliche Gediegenheit. Er hatte sich die grauen Haare schneiden lassen seit unserer letzten Begegnung. Seine Fingernägel waren ebenfalls kürzer, allerdings abgekaut und nicht geschnitten. Und zwar bis zum Nagelbett abgekaut. «Trotzdem war ich, nein, bin ich immer noch sehr besorgt, dass ihr irgendetwas zugestoßen sein könnte.»
«Stehen sich Fabienne und ihre Stiefmutter nah, was würden Sie sagen?»
«Ja. Sehr sogar. Fabienne behandelt meine Frau, als wäre sie ihre leibliche Mutter. Und für jeden unserer Bekannten ist es nie anders gewesen. Evita hatte nur sehr wenig Kontakt zu Fabienne, jedenfalls bis vor kurzem.»
Ich sah Colonel Montalban an. «Warum denken Sie, dass sie sich bei einer deutschen Familie versteckt halten könnten? Und fürden Fall, dass es Ihnen entgangen sein sollte, Colonel – das war eine direkte Frage, die eine direkte Antwort verdient.»
«Ich glaube, die Frage kann ich beantworten, Herr Gunther», sagte von Bader. «Fabienne ist ein sehr aufgewecktes Mädchen. Sie weiß eine Menge über den Krieg und was vorgefallen ist und warum so viele Deutsche sich entschlossen haben, nach Argentinien zu gehen und hier zu leben. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, Fabienne ist Nationalsozialistin. Sie selbst würde sich als solche bezeichnen. Meine Frau und ich hatten manchmal Streit deswegen.
Der Grund, warum der Colonel wollte, dass Sie bei unseren alten Kameraden hier in Argentinien nach Fabienne suchen, ist eigentlich ganz einfach. Fabienne selbst hat angedeutet, dass sie davonlaufen und sich bei einem von ihnen verstecken könnte. Sie hat oft damit gedroht, nachdem sie erfahren hat, dass Evita ihre richtige Mutter ist. Fabienne konnte sehr grausam sein. Sie sagte, bei wem könne man sich besser verstecken als bei jemandem, der sich selbst versteckt. Ich weiß, es erscheint ein wenig seltsam, wenn ein Vater so etwas über seine eigene Tochter sagt, aber Fabienne ist eine charismatische Persönlichkeit. Die Fotografien werden ihrer Ausstrahlung nicht gerecht. Sie ist die Quintessenz des Arischen, und alle, die sie kennen, stimmen darin überein. Selbst der Führer wäre von ihr gefesselt gewesen. Wenn Sie Leni Riefenstahl in
Das blaue Licht
gesehen haben, Herr Gunther, dann wissen Sie, von was für einer Faszination ich rede.»
Ich hatte den Film gesehen. Einen Bergfilm hatten sie den Streifen genannt. Die Alpen waren das Beste im ganzen Film gewesen.
«In dieser Hinsicht ist sie wirklich und wahrhaftig die Tochter von Evita. Da Sie Evita kennengelernt haben, nehme ich an, Sie wissen, was ich meine.»
Ich nickte. «Also schön, ich fange an zu verstehen. Sie ist jedermanns kleiner Liebling. Geli Raubel, Leni Riefenstahl, Eva Braun und Evita Perón, alle zusammengenommen und vereint zu einerfrühreifen kleinen Sirene. Warum haben Sie nicht gleich mit offenen Karten gespielt?»
«Weil es uns nicht zustand, dies zu tun», sagte der Colonel. «Evita wollte nicht, dass irgendjemand ihr Geheimnis erfuhr. Ihre Feinde würden diese Information benutzen, um sie zu vernichten. Allerdings konnte ich sie schließlich überzeugen, mit Ihnen zu reden, und jetzt wissen Sie alles.»
«Hmmm.»
«Was bedeutet das?», fragte der Colonel.
«Hmmm bedeutet, dass ich vielleicht alles weiß, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht gewöhne ich mich daran, dass man davon ausgeht, ich würde den
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