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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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mit Montalban reden musste, merkte ich, dass ich nicht imstande war, irgendetwas zu sagen. In meiner Magengrube war ein Loch entstanden.Ein Loch von der Größe des Fußballstadions in La Boca. Meine größte Sorge war, dass dieses gefühlte Loch schon bald ein echtes werden könnte.
    «Hat vielleicht irgendjemand ein spanisches Wörterbuch für mich?», fragte ich. Niemand antwortete. «Wie wäre es mit einer Zigarette?»
    Einer der Schläger, die mich auf dem Sitz einklemmten, erdrückte mich fast, als er sein Gewicht verlagerte, um nach einer Packung zu greifen. Der Geruch von Schweiß aus seiner Jacke und Pomade aus seinen Haaren stieg mir in die Nase, und ich sah den Griff eines Totschlägers in seiner Innentasche. Ich hoffte, dass er dort bleiben würde. Ich hatte schon bei einer früheren Gelegenheit Bekanntschaft mit diesen Dingern gemacht und war nicht scharf darauf, sie zu vertiefen. Er klappte die Packung auf. Ich griff nach einem der Glimmstängel, die hübsch ordentlich nebeneinander aufgereiht in ihrer Packung lagen wie in einem Bett, wo ich jetzt auch gern gewesen wäre. Ich steckte mir die Zigarette in den Mund und wartete, während er nach seinem Feuerzeug kramte.
    «Danke», murmelte ich und beugte mich zur Flamme vor. Zu spät fiel mir ein, dass es ein alter Gestapo-Trick war. Direkt aus dem inoffiziellen Handbuch, Teil   III. Wie man einen geschwätzigen Verdächtigen im Fond eines schwarzen Wagens zum Schweigen bringt. Eine Hand hält das Feuerzeug. Die andere kommt mit der Kante von oben herab, wenn sich der Verdächtige zur Flamme vorbeugt, und schlägt ihn k.   o. Jedenfalls vermute ich, dass es so gewesen ist. Oder die Argentinier hatten längst ihre Atombombe, und jemand hatte aus Versehen auf den roten Knopf gedrückt anstatt auf den Druckknopf eines Feuerzeugs.
    Die Folgen waren jedenfalls mehr oder weniger die gleichen. Es war ein hübscher sonniger Tag, und im nächsten Augenblick herrschte pechschwarze Nacht überall im Land bis zur neunten Stunde. Und das Gefühl, dass mein Körper vibrierte, als hätte mir jemand zwanzigtausend Volt durch eine Metallkappe und einen mitSalzwasser vollgesaugten Schwamm auf dem Schädel gejagt. Für einen Moment glaubte ich Lachen zu hören. Das Lachen, das eine Katze hört, wenn sie in einem Sack voller Steine steckt und in einen Brunnenschacht fällt. Ich prallte ohne das geringste Geräusch auf dem Wasser auf und versank unter der Oberfläche. Der Brunnen war tief und das Wasser eiskalt. Das Lachen verebbte. Ich hörte auf zu miauen. So war es gedacht. Ich war ruhiggestellt – genau so, wie es die Gestapo mochte. Aus irgendeinem Grund musste ich an Rudolf Diels denken, den ersten Chef der Gestapo. Er hatte sich nur bis 1934 gehalten, als Göring die Kontrolle über die preußische Polizei verloren hatte. Er landete als Regierungspräsident in Köln, später Hannover, und war schließlich entlassen worden, als er sich geweigert hatte, die Juden der Stadt zu verhaften. Was danach aus ihm geworden war? Ein Schlag in die Magengrube und dann das Konzentrationslager wahrscheinlich. Wie die arme Frieda Bamberger, die mitten im Nirgendwo hinter einer Duschkabinentür mit Gummidichtungen gestorben war. Ich konnte nicht sehen, wohin wir fuhren, doch ich fühlte mich, als wäre ich bereits unter der Erde. Ich tastete mit der Hand nach oben, durchbrach die Oberfläche. Tastete nach dem Leben   …
    Jemand bog mir die Arme nach hinten und fesselte meine Handgelenke. Meine Augen wurden verbunden. Ich stand aufrecht und lehnte an der warmen Motorhaube der Limousine. Ich hörte das Geräusch von Flugzeugen. Wir waren an einem Flughafen. Wahrscheinlich der Ezeira, dachte ich.
    Zwei Männer packten mich unter den Armen und schleiften mich mit. Meine Füße wollten nicht, doch das schien unser Vorankommen nicht zu behindern. Das Geräusch der Flugzeugmotoren wurde lauter. Ein metallischer, öliger Geruch erfüllte die Luft, und ich spürte den Wind eines Propellers im Gesicht. Es belebte mich ein klein wenig.
    «Ich glaube, ich sollte Sie warnen», sagte ich. «Ich vertrage das Fliegen nicht besonders gut.»
    Sie schleiften mich ein paar Stufen auf einer metallenen Treppe nach oben und warfen mich in eine Ecke, wo ich unsanft auf hartem Boden landete. Neben mir war noch etwas, etwas, das sich bewegte und stöhnte, und mir wurde bewusst, dass noch andere im gleichen Boot saßen wie ich. Nur, dass es kein Boot war. Mir wäre ein Boot lieber gewesen. Wie dem auch sein

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