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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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gab nichts, was ich darauf hätte sagen können. Es gab nichts, was ich hätte sagen wollen. Wir hatten uns beide entschieden, und wir mussten mit den Konsequenzen leben, die sich daraus ergaben, mochten sie gut sein oder schlecht. Ich war nicht sicher, ob ich besser dran war als Heinrich Grund, aber ich hatte wenigstens – dank Anna – ein wenig Hoffnung für die Zukunft. Grund schien jegliche Hoffnung verloren zu haben.
    Ich ließ ihn auf der Terrasse zurück mit seinen Gedanken und Ängsten und was sonst noch alles ein Mann wie er sich auf die Scherben seines Gewissen gespießt haben mochte.
    Anna setzte sich auf, als ich durch die Tür in unser Zimmer kam. Sie hatte im Bett gelegen, doch die Nachttischlampe brannte. Ich setzte mich auf die Bettkante und löste meine Schnürsenkel. Ich wollte etwas Zärtliches zu ihr sagen, doch sie hatte etwas anderes im Sinn.
    «Nun?», fragte sie. «Hast du dir etwas überlegt? Eine Strafe für diesen Kammler?»
    «Ja», erwiderte ich. «O ja, das habe ich.»
    «Etwas Furchtbares?»
    «Ja. Ich denke, es wird furchtbar sein für ihn.»

DREIUNDZWANZIG
BUENOS AIRES
1950
    Zwei Tage später waren wir zurück in Buenos Aires. Colonel Montalban würde die Nachricht, dass Kammlers Männer mich unmittelbar neben dem geheimen Todeslager in Dulce aufgegabelt hatten, wahrscheinlich nicht gelassen aufnehmen. Ich sagte Anna, dass ich ein wenig Zeit brauchte, um die Dinge in Ordnung zu bringen, bevor wir uns sicher fühlen konnten. Für den Augenblick sollte sie nach Hause gehen und dort bleiben, bis ich sie anrief. Oder besser noch, sie sollte bei einer Freundin unterschlüpfen.
    Ich wusste nicht, ob Anna meinen Ratschlag anzunehmen gedachte, denn die ganze Fahrt von Tucumán hierher zurück hatte sie kaum ein Wort mit mir gesprochen. Ihr gefiel nicht, dass ich ihr nicht sagte, was ich mit Hans Kammler machen würde. Sie glaubte mir nicht, dass ich mir wirklich eine Strafe für ihn ausgedacht hatte. Und sie erklärte unsere Beziehung für beendet.
    Vielleicht meinte sie es ernst. Ich hatte keine Zeit, mir darüber Sicherheit zu verschaffen. Ich kam gerade aus dem Hotel Richmond, als sie mich zum zweiten Mal einkassierten. Vielleicht waren es dieselben Kerle wie beim ersten Mal, doch ich konnte es nicht genau sagen wegen der dunklen Brillen und der ähnlichen Schnurrbärte. Der Wagen war eine Ford-Limousine, allerdings nicht die gleiche, die mich beim ersten Mal nach Caseros gebracht hatte. Diese Limousine hatte einen Brandfleck von einer Zigarette auf dem Rücksitz und einen großen Blutfleck auf dem Teppich. Natürlich konnte es auch Kaffee sein oder Sirup. Aber im Verlauf der Jahre lernt man, Blutflecken zu erkennen, wenn man welche aufdem Boden eines Wagens sieht. Ich versuchte, ruhig zu bleiben, doch diesmal funktionierte es nicht; ich machte mir weniger Sorgen um mich als vielmehr um Anna.
    Das war der Augenblick, in dem mir klarwurde, dass ich sie liebte. So ist es leider meistens. Erst wenn man etwas verliert, begreift man, wie wichtig es für einen war. Ich machte mir Sorgen um Anna, weil ich gewarnt worden war, und zwar mit deutlichen Worten. Der Colonel hatte sich mit Sicherheit denken können, was ich dort oben gesucht hatte, als Kammler ihn angerufen hatte. Dass ich versuchte, hinter Argentiniens größtes Geheimnis zu kommen. Nicht den Kampfjet Pulqui II, nicht einmal die argentinische Atombombe – sondern das Schicksal mehrerer tausend illegaler jüdischer Flüchtlinge. Das Rätselhafte daran: Wieso hatte der Colonel Kammler nicht einfach befohlen, uns an Ort und Stelle zu töten. Ich nahm an, dass ich im Begriff stand, das herauszufinden.
    Zu meiner Überraschung fuhren wir an Caseros vorbei.
    «Wohin fahren wir?», fragte ich.
    «Wirst du früh genug herausfinden», brummte einer meiner Aufpasser.
    «Eine Überraschungstour, wie? Ich mag Überraschungen.»
    «Diese wird dir nicht gefallen», versprach er mir. Die anderen lachten.
    «Ich habe versucht, mich mit Ihrem Boss in Verbindung zu setzen, Colonel Montalban. Ich habe letzte Nacht mehrfach bei ihm angerufen. Ich muss ihn ganz dringend sprechen. Ich habe wichtige Informationen für ihn. Wartet er am Ziel auf uns?» Ich sah aus dem Fenster und bemerkte, dass wir in südwestliche Richtung fuhren. «Ich weiß, dass er mit mir reden will.»
    Ich nickte, als wollte ich mich selbst davon überzeugen. Doch während ich nach den richtigen spanischen Vokabeln suchte, um ihnen irgendwie klarzumachen, dass ich wirklich dringend

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