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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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geschlagen hatte.
    «Um den Fall Anita Schwarz», sagte Gennat.
    «Was ist damit?»
    Doch Gennat war bereits vorgewatschelt und erwartete offensichtlich, dass ich ihm folgte. Während ich dies tat, sinnierte ich, dass Gennat die plattesten Füße hatte, die ich jemals bei einem Polizisten gesehen hatte. Was nicht weiter überraschend war angesichts der Masse, die sie zu tragen hatten. Er wog sicherlich hundertfünfzigKilo. Er ging mit hinter dem Rücken verschränkten Armen, und auch das war keine Überraschung angesichts der Tatsache, dass er so viel Bauch vor sich hertrug.
    Wir stiegen die Treppe hinauf und durchquerten einen ruhigeren Korridor, an dessen Wänden die Porträts früherer Preußischer Polizeipräsidenten und ihrer Stellvertreter hingen. Gennat klopfte an Isidors Tür und öffnete, ohne auf eine Antwort zu warten. Wir traten ein. Helles Sonnenlicht strömte durch die schmutzigen deckenhohen Fenster. Isidor saß wie üblich an seinem Tisch und schrieb. Am Fenster räkelte sich wie eine Katze, die sich in der Sonne wärmt, Arthur Nebe. Er roch leicht nach Cologne.
    «Was macht er hier?», grollte ich und setzte mich auf einen der unbequemen Holzstühle. Gennat nahm neben mir Platz und hoffte darauf, dass es glimpflich ablief.
    «Langsam, langsam, Bernie», sagte Isidor. «Arthur ist hier, um zu helfen, das ist alles.»
    «Ich bin gerade vom Viehmarkt zurück. In einer der Hallen liegt ein totes Mädchen. Ermordet von Nazis, wie es aussieht. Sie trug nämlich einen Mitgliedsausweis der Roten bei sich. Er kann sein fabelhaftes Talent meinetwegen an diesem Fall austoben, wenn er will. Aber an dem Mord an Anita Schwarz ist nichts Politisches.»
    Isidor legte den Stift zur Seite und lehnte sich zurück. «Ich dachte, ich hätte klar zum Ausdruck gebracht, dass es einen politischen Aspekt gibt», sagte er.
    «Wer auch immer Anita Schwarz umgebracht hat, er war ein Irrer und kein Nazi», widersprach ich. «Auch wenn ich gern gestehe, dass die Grenze zwischen beiden manchmal fließend sein kann.»
    «Kommissar Gunther drückt genau das aus, was ich denke», sagte Nebe. «Und sehr eloquent, wie üblich.»
    «Und was denken Sie, Kommissar Nebe?», fragte ich.
    «Hören Sie, Bernie», sagte Isidor. «Es gibt gewisse Stimmen bei der Allgemeinen   …»
    «Ich bin nicht mehr in der Allgemeinen», unterbrach ich ihn. «Ich bin beim Verband.»
    «Gewisse Stimmen bei der Allgemeinen stellen Fragen, ob Sie unparteiisch bleiben», fuhr er ungerührt fort. «Sie glauben, dass Ihre offene Feindseligkeit gegenüber der Nationalsozialistischen Partei und ihrer Anhänger Sie daran hindern könnten, diesen Mordfall zu lösen.»
    «Wer sagt denn, dass ich dem Nationalsozialismus gegenüber feindselig eingestellt bin?»
    «Ach, komm Sie, Bernie», sagte Nebe. «Nach dieser Pressekonferenz? Jeder weiß, dass Sie bei der Eisernen Front sind.»
    «Reden wir nicht über diese Pressekonferenz», sagte Gennat. «Sie war ein Desaster.»
    «Also schön, reden wir nicht darüber», sagte ich. «Was hat die Pressekonferenz damit zu tun, dass ich den Mörder suche?»
    «Die Eltern des toten Mädchens, Herr und Frau Schwarz, behaupten, Sie hätten sich ihnen gegenüber wegen ihrer politischen Einstellung aggressiv verhalten», sagte Isidor. «Außerdem behaupten die beiden, Sie nähmen böswillige Gerüchte betreffend den moralischen Charakter ihrer Tochter für bare Münze.»
    «Wer hat Ihnen denn das erzählt?», fragte ich. «Heinrich Grund, nehme ich an?»
    «Nein. Herr und Frau Schwarz haben sich direkt an mich gewandt», sagte Arthur Nebe.
    «Sie war eine Prostituierte», sagte ich zu Weiß. «Eine Amateurin, zugegeben, aber nichtsdestotrotz eine Prostituierte. Nennen Sie mich altmodisch, aber ich dachte, dass es vielleicht, nur vielleicht etwas mit ihrem Mord zu tun haben könnte. Schließlich wäre sie nicht die erste Prostituierte, die ermordet wurde. Genitalverstümmelungen kann man bei Lustmorden häufiger sehen. Selbst Arthur muss das zugeben, oder irre ich mich?» Ich steckte mir eine Zigarette an, ohne um Erlaubnis zu fragen. Ich war nicht in der Stimmung zu fragen. «Doch wo wir schon über Politik reden, möchteich jeden daran erinnern – insbesondere Sie, Arthur – dass es nicht gegen die Bestimmungen verstößt, der Eisernen Front anzugehören. Allerdings verstößt es gegen die Bestimmungen, der KPD oder der NSDAP anzugehören.»
    «Ich bin kein Mitglied bei der NSDAP!», protestierte Nebe. «Wenn Bernie meine

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