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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Schultern.
    «Aber es waren viel mehr Namen, als Sie dachten. Deshalb sind Sie noch einmal zu mir gekommen – diesmal zu mir nach Hause und nicht in die Klinik, weil Sie hoffen, dass ich hier eher meine Verschwiegenheitspflicht verletzen würde.»
    «So ähnlich, ja.»
    «Meine oberste Pflicht, Herr Kommissar, gilt meinen Patienten. Einige von ihnen sind sehr schwer erkrankt. Nehmen wir an, ich würde Ihnen Informationen zu ihrer wahren Identität geben. Und nehmen wir weiterhin an, Sie beschließen, einige meiner Patienten zu vernehmen. Oder alle. Ich weiß es nicht. Die Patienten würden meinen, ich hätte ihr Vertrauen missbraucht. Dann würden sie vielleicht nicht mehr in die Klinik kommen, wo sie ihre Behandlung abschließen müssen. Sie würden nicht geheilt werden und vielleicht sogar jemanden anstecken. Und so weiter und so fort.» Er schüttelte den Kopf. «Verstehen Sie, was ich meine? Ich bedaure selbstverständlich diesen Mord, doch ich habe eine Verantwortung als Arzt.»
    «Sehr richtig, Dr.   Kassner. Ich habe auch eine Verantwortung, und zwar als Polizist: Nehmen wir an, die Person, die Anita Schwarz ermordet hat, ist ein Psychopath. Fräulein Schwarz wurde auf grauenvolle Weise entstellt. Wer anderen Menschen so etwas zufügt, tut es üblicherweise erneut. Ich will diesen Verrückten finden, bevor es so weit ist. Sind Sie bereit, die Verantwortung zu übernehmen, wenn ein weiterer Mord geschieht?»
    «Das ist ein sehr wichtiger Punkt, Herr Kommissar. Es ist ein rechtes Dilemma, nicht wahr? Vielleicht wäre es das Beste, die Angelegenheit vor das Preußische Komitee für Ärztliche Ethik zu bringen und das Komitee entscheiden zu lassen.»
    «Wie lang würde das dauern?»
    Kassner dachte einen Augenblick nach. «Eine Woche oder zwei? Vielleicht auch einen Monat.»
    «Und was würde das Komitee Ihrer Meinung nach entscheiden?»
    Er seufzte. «Ich kann die Entscheidungen des Komitees nicht vorhersagen. Es gibt strenge Vorschriften. Obwohl es bei Ihnen ja offenbar überhaupt keine Vorschriften gibt. Ich frage mich, was Ihre Vorgesetzten wohl zu Ihrem Verhalten mir gegenüber sagen würden?»Er schüttelte den Kopf. «Nehmen wir einmal an, das Komitee lehnt Ihre Bitte ab. Es ist eine realistische Möglichkeit, denke ich. Was könnten Sie dann tun? Ich nehme an, Sie könnten versuchen, jeden zu befragen, der die Klinik betritt oder verlässt. Natürlich nimmt nur ein kleiner Prozentsatz davon an der Versuchsreihe teil. Die große Mehrzahl meiner Patienten – und damit meine ich eine sehr große Mehrzahl, Herr Kommissar – wird ganz konventionell mit Neosalvarsan behandelt. Was also würde passieren, wenn Sie das täten? Sie würden die Leute verschrecken, und sie würden nicht mehr zur Behandlung kommen. Wir hätten bald eine Epidemie von Geschlechtskrankheiten in Berlin. Wie die Dinge gegenwärtig stehen, halten wir die Ausbreitung mühsam unter Kontrolle. Zehntausende von Bewohnern der Stadt leiden an Schanker, wie Sie es nennen. Nein, Herr Kommissar, mein Vorschlag an Sie wäre, Ihre Ermittlungen auf andere Weise fortzusetzen. Ich bin fest überzeugt, dass das für alle Beteiligten das Beste wäre.»
    «Sie haben ein paar gute Argumente, Dr.   Kassner.»
    «Ich bin froh, dass Sie das so sehen.»
    «Allerdings ist mir etwas aufgefallen, als ich mir die Liste angesehen habe. Es steht nämlich auch Ihre Adresse darauf. Vielleicht könnten Sie dazu etwas sagen.»
    «Ich verstehe, Herr Kommissar. Sehr scharfsinnig von Ihnen. Das macht mich in Ihren Augen wahrscheinlich zu einem Verdächtigen?»
    «Ich muss dieser Möglichkeit nachgehen, Herr Doktor.»
    «Ja. Selbstverständlich.» Kassner leerte sein Glas und erhob sich, um es nachzufüllen. Ich gehörte offenbar immer noch nicht zu den Leuten, mit denen er anstoßen wollte. «Nun denn, es ist folgendermaßen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich ein Arzt mit einer Krankheit ansteckt, die er zu heilen trachtet.» Er setzte sich erneut, stieß diskret hinter vorgehaltenem Glas auf und prostete mir schweigend zu.
    «Ist es das, was Sie mir sagen, Herr Doktor? Dass Sie sich absichtlichmit einer Geschlechtskrankheit infiziert haben, um Prontosil an sich selbst zu testen?»
    «Ganz genau das sage ich, Herr Kommissar. Manchmal reicht es eben nicht, die Nebenwirkungen eines Medikaments an anderen Menschen zu testen. Sie sind weniger imstande, die vollständigen Auswirkungen auf den menschlichen Körper zu beschreiben. Ich glaube, ich habe es bereits bei unserem

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