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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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gewartet, als sie aus der KP D-Parteizentrale am Bülowplatz kam. Es war ein schöner Tag, also beschloss sie, zu Fuß nach Hause zu gehen, und sie bemerkte nicht, dass sie verfolgt wurde. Ihre Verfolger warteten auf eine gute Gelegenheit zum Angriff. Als sie sie bemerkte, flüchtete sie auf denViehhof in der Hoffnung zu entkommen. Doch sie trieben sie in die Enge und machten das, was tapfere S A-Männer tun, wenn sie gegen eine furchtbare Bedrohung wie den internationalen Bolschewismus kämpfen. Was meinst du, Heinrich?»
    «Kann schon sein, dass es teilweise stimmt», sagte er widerwillig. «Mehr oder weniger.»
    «Mit welchem Teil bist du denn weniger einverstanden?», fragte ich.
    Grund antwortete nicht. Er legte Sabine Färbers Ausweis zurück in die Handtasche und starrte auf die Tote.
    «Was sagt Hitler nochmal?», fragte ich. «Stärke liegt nicht in der Verteidigung, sondern im Angriff, nicht wahr?» Ich zündete mir eine Zigarette an. «Ich habe mich immer gefragt, was er wohl damit meinen könnte.» Ich beließ den Rauch für einen Moment in meinen Lungen, bevor ich fortfuhr. «Meint er so etwas mit Angriff? Dein großer Führer? Was denkst du?»
    «Selbstverständlich nicht!», protestierte Grund. «Du weißt, dass er das nicht so meint!»
    «Was dann? Sag du es mir! Ich würde es gern wissen!»
    «Gib endlich Ruhe, ja? Gib endlich Ruhe!»
    «Ich?» Ich lachte auf. «Ich muss nicht Ruhe geben geben, Heinrich, sondern die Leute, die das hier getan haben. Es waren deine Freunde. Die Nationalsozialisten.»
    «Trotzdem. Das kannst du nicht mit Bestimmtheit sagen.»
    «Da hast du recht. Das kann ich nicht. Ich bin ja nicht Hellseher wie Adolf Hitler. Vielleicht sollte er sich als Detektiv betätigen. Keine schlechte Idee, finde ich. Lieber Polizist als der nächste Kanzler von Deutschland.» Ich grinste. «Ich könnte wetten, dass er eine höhere Aufklärungsrate hat als ich. Wer wäre besser geeignet, die Verbrechen in einer Stadt aufzuklären, als der Mann, der die meisten davon anstiftet?»
    «Herrgott, ich wünschte, ich müsste mir das nicht dauernd anhören, Gunther!»
    Er sprach mit zusammengebissenen Zähnen. Er wurde rot, und das hätte mir eine Warnung sein müssen. Er war schließlich ein Boxer.
    «Musst du nicht», sagte ich. «Ich fahre zurück zum Alex und sage den Jungs von der Politischen, dass es ein Fall für sie ist. Du bleibst hier und versuchst, bessere Zeugen zu finden als diese Wurstsieder. Ich weiß nicht, vielleicht hast du ja Glück. Vielleicht sind sie selbst Nazis. Hässlich genug sind sie jedenfalls. Vielleicht liefern sie dir Beschreibungen von drei orthodoxen Juden.»
    Ich nehme an, es war mein sarkastisches Grinsen – jedenfalls hatte er genug. Ich sah den Schlag nicht kommen. Ich spürte ihn kaum. In der einen Sekunde stand ich da und grinste wie Torquemada, in der nächsten lag ich auf den Pflastersteinen, gefällt wie eine Färse.
    Undeutlich und verschwommen sah ich Grund über mir stehen, die Fäuste geballt wie Luis Firpo über Jack Dempsey. Er brüllte irgendetwas zu mir herunter, doch ich konnte nichts hören außer einem hohen Summen. Endlich wurde Grund von zwei uniformierten Beamten weggezerrt, während ihr Unterführer sich über mich beugte und mir beim Aufstehen half.
    Langsam wurde ich wieder klar im Kopf. Ich betastete meinen Unterkiefer.
    «Der Idiot hat mich geschlagen!», murmelte ich.
    «Das hat er», stimmte mir der Uniformierte zu und starrte mich fragend an wie ein Ringrichter, der überlegt, ob er den Kampf abbrechen sollte oder nicht. «Wir alle haben es gesehen, Herr Kommissar.»
    Seinem Tonfall entnahm ich, dass er es für selbstverständlich hielt, wenn ich eine disziplinarische Beschwerde gegen Grund einreichte. Einen Vorgesetzten zu schlagen war ein schweres Vergehen bei der Kripo. Fast so schlimm, wie einen Verdächtigen zu schlagen.
    Ich schüttelte den Kopf. «Nein, nein. Nichts haben Sie gesehen», sagte ich.
    Der Beamte war älter als ich. Er würde bald pensioniert werden. Sein kurzgeschnittenes Haar hatte die Farbe von poliertem Stahl. Er hatte eine Narbe mitten auf der Stirn, wie von einem Kopfschuss.
    «Was haben Sie gesagt, Herr Kommissar?»
    «Sie haben überhaupt nichts gesehen», wiederholte ich. «Keiner von Ihnen. Ist das klar?»
    Der Beamte überlegte einige Sekunden, bevor er schließlich nickte. «Wenn Sie das sagen, Herr Kommissar.»
    Ich schmeckte Blut im Mund, doch ich hatte keine Platzwunde.
    «Es ist schließlich niemandem

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