Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)
Untersuchungen zu »High Reliability Organizations« wie Atomkraftwerken heraus, dass vor allem eine Haltung der Achtsamkeit – das intensive Leben im Augenblick und Aktivieren aller Sinne, die Aktualisierung von Erklärungs- und Deutungsmustern – hilft, Fehlentwicklungen schneller zu erkennen und auf sie zu reagieren.
In einer von Krisen geprägten Zeit kommt es auch politisch zunehmend auf das Talent zum Umgang mit Unvorhergesehenem an. Politiker und Planer müssen sich darauf einstellen, ständig von Neuem überrascht zu werden, und sich von dem naiven Glauben verabschieden, es gäbe so etwas wie eine vollständige Kontrolle, Beherrschbarkeit und Sicherheit in einer hoch technisierten Welt, in der Krisen nur »Störfälle« sind in einem normalen Betriebsablauf.
Der Tod, der heute als größter denkbarer »Störfall« gehandelt wird, bricht in das individuelle Leben ein wie eine Lawine. Im Umgang mit der Erschütterung, die die Begegnung mit Tod und Sterben auslöst, werden Achtsamkeit und Aufmerksamkeit für die einzigartige Situation zu entscheidenden Tugenden.
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Verdrängte Verluste
Königsdisziplin Change Management
Im Alltagsleben sind Krisen Ausnahmesituationen – in der Arbeitswelt ist es umgekehrt: Die Krise ist Alltag. Erschütterungen und Veränderungen zu bewältigen ist für Mitarbeiter und Führungskräfte zu einer Daueraufgabe geworden. In immer kürzeren Abständen werden die Mitarbeiter aufgefordert, ihre eingefahrenen Bahnen zu verlassen und sich neuen Situationen anzupassen. Im Unterschied zu Lebenskrisen werden die Veränderungen vorsätzlich erzeugt. »Schöpferische Zerstörung« nannte der Ökonom Joseph Schumpeter den Prozess, der die ureigenste Aufgabe des Unternehmers sei, um die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. »Die effiziente Organisation von morgen wird jeden Tag aufs Neue hervorgezaubert«, formulierte der Managementguru Tom Peters das Credo des Wandels. Change Management als Überbegriff für das professionelle Steuern von Veränderungen hat sich zur Königsdisziplin der Unternehmensführung entwickelt; für Führungskräfte wie Mitarbeiter zählt »Change-Kompetenz« zu den wichtigsten Qualifikationen.
Viele Manager konzentrieren sich bei Veränderungen allein darauf, die Wirklichkeit zu verändern. Doch worauf es ankommt, wenn Veränderungsprozesse gelingen sollen, ist: die emotionalen Folgen der Veränderungen wie Unsicherheit, Verlusterfahrung und -verarbeitung in den Blick zu nehmen. Wird diese Aufgabe der Verlustverarbeitung unterschätzt, wiegen die Folgen schwer. Doch bis heute herrscht in vielen Unternehmen ein Menschenbild, das – trotz aller Rhetorik – der individuellen Reaktion der Mitarbeiter auf Veränderungsprozesse wenig Beachtung schenkt. In dieser Hinsicht könnten Unternehmen viel vom Umgang mit Tod und Trauer als extremer Krisen- und Verlusterfahrung lernen.
Viele Veränderungsprogramme gehen irrtümlich von der scheinbar optimistischen Annahme aus, Veränderung sei ein Gewinn ohne Verluste und eine Frage der Einstellung. Zu Recht stellten Kritiker fest, dass zu wenig Aufmerksamkeit auf die Verlustseite der Erneuerung verwendet wird: das Loslösen von vorhandenen Prozessen, das die Fähigkeit voraussetzt, sich von gewohnten Verfahren und Verhaltensweisen zu trennen. Weil Trennung aber immer auch Verlust bedeutet – löst sie Widerstand aus. Menschen haben nichts dagegen, sich zu verändern. Sie haben nur viel dagegen, verändert zu werden.
Veränderungen sind für Menschen grundsätzlich schwierig. Die erste Reaktion ist oftmals hoch emotional. Je negativer die Bewertung der Veränderung und der damit verbundenen Verluste, umso stärker die innere Verleugnung. Darauf folgt eine innere und äußere Auflehnung gegen die Veränderung. Kann ein Mitarbeiter eine Veränderung nicht aufhalten, sondern nur verzögern oder mitgestalten, tritt schnell Resignation ein. Aus dieser Resignation ergibt sich in den meisten Fällen das Loslassen des Alten, verbunden mit der Trauer um den Verlust. An diesem Punkt variieren die Entwicklungsmöglichkeiten: Manche Menschen verharren in dieser Trauer; andere wiederum durchleben den Umbruch und akzeptieren die neue Situation.
Zu den häufigsten Versäumnissen in der Gestaltung von Veränderungsprozessen gehört das »Schönreden«: Risiken werden heruntergespielt, negative Folgen verschwiegen oder als vernachlässigbar dargestellt. Selbst dann, wenn die Nachteile offen zutage treten und für jeden sichtbar
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