Das letzte Hemd
Aufgabe annahm, seine Hemden zu
waschen, zu bügeln und überhaupt seine Garderobe zu pflegen, legte Knöpfe oder
Münzen, die sie manchmal in Hosen- oder Hemdtaschen fand, im Schlafzimmer in
dem kleinen Porzellanschälchen ab, das er einst unter etwas merkwürdigen
Umständen in einem Motel hatte mitgehen lassen. Rosenmair wäre der Erste, der
zugeben würde, dass er in punkto Klamotten ziemlich eigen war. Ein frisch
gebügeltes Hemd gehörte für ihn zum idealen Beginn eines Tages. Wenn er sich
für mehr als drei Tage in einer anderen Stadt aufhielt, musste er zuerst eine
gute Wäscherei finden oder den Service des jeweiligen Hotels auf Herz und
Nieren prüfen. Er war schon öfter an Reinigungsunternehmen verzweifelt; vor
allem in seiner Zeit in den USA . Dort benutzten
die Wäschereien fast immer zu viel Stärke, was ihm einige Male hitzige
Diskussionen mit dem gern schlecht ausgebildeten Personal eingebracht hatte.
Das redete sich meist nach zwei, drei Beschwerden raus, indem es den »Manager«
rief, der sich dann als pickeliges Bübchen von maximal fünfundzwanzig Jahren
mit einem »Abschluss« am Local Community College entpuppte. Rosenmair hatte nie
wirklich herausfinden können, was sich hinter Studienfächern wie »Advanced
Economics« oder »Executive Master of Public Management« verbarg, er vermutete
irgendwann aber, dass es etwas vom Kaliber »Angewandter Ausdruckstanz« oder »Hemden
zählen für Anfänger und Fortgeschrittene« war. Auch die Baseballkappe und das
golden glänzende Namensschild, auf dem Titel wie »Junior Vice President« oder
»Assistant Key Manager« prangten, deuteten auf eine verantwortungsvolle
Tätigkeit hin. Im Endeffekt war der Träger des Titels aber meist eben doch nur
der arme Depp, der fürs Ausfegen und Abschließen zuständig war.
Ja, Rosenmair legte Wert auf seine Garderobe, auch im Alltag, gerade
im Alltag. Mit einem Sweatshirt ließ er sich allenfalls bei der Gartenarbeit
oder dem ihm immer noch leidlich verhassten Nordic Walking sehen. Seine Hemden
hatte er sich schon mal direkt aus London schicken lassen, auch in Hamburg
kannte er ein, zwei Herrenschneider, die ihm zusagten. Das war der Luxus, den
Rosenmair sich leistete; er brauchte keine schicken Uhren und dicken Autos.
In seiner Zeit als Richter in Trier war er allein wegen der Hemden
und Hosen immer mal wieder nach Hamburg gefahren und hatte den Kauf neuer
Klamotten mit einem Wochenendausflug in die Hansestadt verbunden. Seine aktuell
beste Quelle drohte aber gerade zu versiegen: Der Militärschneider im HQ , dem Hauptquartier der britischen Truppen am
Niederrhein, bei dem er ähnliche Qualität wie aus London, aber zu wesentlich
günstigeren Preisen bekam, machte demnächst zu. Allmählich vollzog sich der
angekündigte Abzug der britischen Militärmacht am Niederrhein. Was mit dem
Gelände, den Gebäuden und den Leuten passierte, war unklar. Rosenmair hatte
schon mit dem Gedanken gespielt, den Schneider zu einem eigenen Laden zu
überreden.
Im Schlafzimmer fand sich in besagtem Porzellanschälchen schließlich
das Paar Manschettenknöpfe, das er gesucht hatte, natürlich. Wie machte die
Frau das nur? Er würde es nie zugeben, aber Frau Kolbich war perfekt für ihn.
Sie kümmerte sich um seine Garderobe und vor allem um die ihm so wichtigen
Hemden. Sie hatte genau das richtige Händchen für die Stärkung der Hemdkragen
und den Bügelschliff. Außerdem hielt sie sein Haus sauber und verschwand
lautlos, sobald sie das getan hatte. Rosenmair war mehr als zufrieden mit
seiner Entdeckung, die er eigentlich Marlene zu verdanken hatte. Doch wie so
oft hatte sich im Laufe der Zeit in seiner Vorstellung die Zuständigkeit
gewandelt, wie immer, wenn etwas gut funktionierte. Tat es das nicht, waren
natürlich die anderen schuld.
Rosenmairs Mobiltelefon klingelte nervtötend laut. Es war Larry, der
gerade von der Autobahn abgefahren und jetzt auf dem direkten Weg nach Waldniel
war, wie er ihn wissen ließ. Der Richter seufzte und drückte auf den roten
Knopf. Wieso Larry ihm fünf Minuten vor seiner Ankunft noch einmal mitteilen
musste, dass er in eben genau diesen fünf Minuten bei ihm vor der Tür stehen
würde, wenn er ohnehin gleich aus dem Wagen aussteigen und bei ihm an der Tür
klingeln konnte, würde Rosenmair ein ewiges Rätsel bleiben.
Rosenmairs Technikspezi Lothar Larsson, genannt Larry, empfand die
gesunde Skepsis des Richters gegenüber vielen Dingen, speziell dem
vermeintlichen Segen der Technik, als
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