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Das letzte Hemd

Das letzte Hemd

Titel: Das letzte Hemd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Puettjer , Volker Bleeck
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boshafteren Oscar
Wilde und irgendwann sogar bei Dantes »Inferno« gelandet. Auch ein
»Regionalwörterbuch Rheinland« hatte er zu Rate gezogen, nachdem er in seiner
Waldnieler Buchhandlung Lesenachschub gekauft und in der gleich nebenan
liegenden Stadtbücherei ein bisschen nach regionalen Nachschlagewerken
gestöbert hatte. Wirklich weitergebracht hatte ihn das Buch aber nicht; das
erste Wort, das er nach zufälligem Blättern entdeckt hatte – »Frack« –,
bedeutete so viel wie »Ärger, Wut, Hass, Streit« beziehungsweise als Adjektiv
»kaputt, erledigt«. Dem folgten wenig später die Verben »frasseln, frosseln,
frösseln, fröseln«, was so viel hieß wie »sich abmühen, an etwas herumarbeiten,
ungeschickt werkeln«. Für die Rede eignete sich das nicht, doch seine
Bemühungen in dieser Hinsicht beschrieb es ganz vortrefflich.
    Trotzdem tippte er weiter, blätterte in Büchern herum und setzte
zwischenzeitlich seine Wanderungen durchs Zimmer fort, die er bald aufs ganze
Haus ausdehnte. Irgendwann stand er vor Tante Hedwigs »Bibliothek«, wie er die
dunklen, alten Bücherschränke immer nannte, die den langen Gang zwischen
Wohnzimmer und Küche säumten. Hier war alles so geblieben, wie Tante Hedwig es
hinterlassen hatte, seine eigenen Bücher hatte Rosenmair vor allem im Wohn- und
Kaminzimmer und in seinem Schlafzimmer untergebracht. Jetzt stöberte er
neugierig in diesem Sammelsurium aus anspruchsvoller Literatur und kitschgewaltigen
Bestsellern.
    Wie so viele ihrer Generation war Tante Hedwig über Jahrzehnte
Mitglied in einem überaus beliebten Buchklub gewesen, und ihre Sammlung
beinhaltete all die üblichen Verdächtigen, von Kishon bis John le Carré, von
»Die Caine war ihr Schicksal« bis »Vom Winde verweht«, auch Konsalik und
Simmel. Dazwischen standen immer mal wieder interessante Ausreißer wie das Buch
»Heller als tausend Sonnen« des jüdischen Zukunftsforschers und
Friedensaktivisten Robert Jungk oder »Der Archipel Gulag« des
Literaturnobelpreisträgers Alexander Solschenizyn. Die Ikonen des deutschen
Bildungsbürgertums waren natürlich ebenfalls vertreten, Böll, Borchert, Hans
Fallada, Günter Grass. Offensichtlich hatte Tante Hedwig eine gewisse Ordnung
gehalten, Grass’ »Hundejahre« stand neben »Katz und Maus«, Lothar-Günther
Buchheims »Das Boot« allerdings zwischen Helmut Schmidt und Karlheinz Böhm. Und
wild verstreut fanden sich immer wieder neuere, eindeutig ungelesene
Taschenbücher von Autorinnen wie Rosamunde Pilcher oder Hera Lind. Das waren
wohl Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke, wie Rosenmair der Widmung in einem
Buch mit dem nicht wirklich vielversprechenden Titel »Lebe deinen Traum, lass
Sonne in dein Herz« entnehmen konnte. Irgendeine Cousine hatte es »meiner
lieben Hedwig« zugedacht, die sich doch bitte häufiger melden sollte. Rosenmair
konnte nur zu gut verstehen, warum Tante Hedwig das bis dahin offenbar nicht
getan hatte – wer solche Bücher schenkte, schreckte auch vor weitaus
Schlimmerem nicht zurück.
    In einer Regalecke schließlich war Regionales untergebracht, und
Rosenmair stieß voller Begeisterung auf ein zerlesenes Nachschlagewerk, das
niederrheinische »Feld-, Wald- und Flurnamen« erklärte – hier würde er
vielleicht auch die Erklärung für die Venekoten finden. Er legte das Buch zur
Seite. Niederrheinische Lyrik gab es auch, der Rheydter Dichter Rudolf Sous war
gleich mehrfach vertreten, daneben stand ein zerfleddertes Bändchen mit dem in
Rosenmairs Augen sehr lustigen Titel »Äfe Platt för montre Lü« von einem Rektor
Johannes Heck, der wohl schon zur Erscheinungszeit nicht mehr unter den
Lebenden weilte, wie das Kreuz hinter seinem Namen anzeigte. Auf den letzten
Seiten waren einige Ausdrücke erklärt, »vör die Lü, die kä Platt könne«. Das
meinte ihn, da war sich Rosenmair sicher. Besonders gut gefielen ihm Begriffe
wie »Zoppdeer«, was so viel hieß wie »Werwolf« – und wann konnte man nicht mal
den plattdeutschen Begriff für Werwolf brauchen! Oder den Ausdruck »Zink
Reymes«, womit der Tag des heiligen St. Remigius gemeint war, der 1. Oktober.
Schön waren auch die fast schon französisch klingenden Begriffe »aventou« für
»ab und zu« und »möttertiet« für »mit der Zeit«. Ob er diese Sprache möttertiet auch nur ansatzweise verstehen würde,
bezweifelte Rosenmair jedenfalls nicht nur aventou .
    Neben einem Schwarz-Weiß-Bildband aus dem Jahr 1975 über den von
seinem Nachbarn Becker so verehrten

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