Das letzte Hemd
Kontakt
mit einem stumpfen Gegenstand gekommen. Ob er niedergeschlagen worden oder
unglücklich gestürzt war, wollte die Polizei nicht kommentieren und hielt sich
bedeckt. Zeugen hatte man keine gefunden beziehungsweise war immer noch dabei,
die vorausgegangenen Ereignisse zu rekonstruieren. Gesucht wurde auch nach dem
Auto des Mannes, das weder in dem Düsseldorfer Hotel noch an seinem
Mönchengladbacher Wohnhaus stand. Inzwischen hatte man die Kollegen aus
Mönchengladbach um Amtshilfe gebeten.
***
Einer dieser Kollegen, Kriminalkommissar Stöffel, hatte die
Anfrage entgegengenommen und war mit Eifer dabei, sich mit den Fakten vertraut
zu machen. Die Suche nach einem vermissten Auto weckte seinen Ehrgeiz, denn
Peter Stöffel war jemand, der gern gewann, ob nun im Job oder privat. Seine
Freunde verglichen seine Verbissenheit bei Spielen oder Sportveranstaltungen
gern mit dem Ehrgeiz des TV -Moderators Stefan
Raab, der sich in seiner Sendung »Schlag den Raab« regelmäßig Herausforderern
stellte – und ebenso regelmäßig gewann. Allerdings traute Stöffel besonders im
Bereich Allgemeinwissen keiner seiner Freunde zu, dort auch nur annähernd eine Schnitte
zu haben. Trotzdem träumte er heimlich davon, sich bei einer dieser TV -Spielshows zu bewerben; gar nicht des Preisgeldes
wegen, das wäre natürlich ein schöner Bonus, aber Stöffel wollte vor allem
eines: gewinnen, der Überlegene sein.
Als Becker das Büro betrat, stürzte Stöffel sofort auf ihn zu.
»Mensch, Chef, wo bleiben Sie denn? Hier brennt die Hütte!«
Becker lächelte ihn milde an und stellte seine Tasche neben seinem
Schreibtisch ab. Nach den Befragungen am Schloss Rheydt, die natürlich nichts
ergeben hatten, war er noch einmal kurz nach Hause gefahren, um mit Erko Gassi
zu gehen.
Frau Jansen, die den Hund ja eigentlich nach ein paar Tagen wieder
hatte abholen wollen, war noch nicht zurück und hatte sich auch nicht gemeldet.
Vielleicht musste sie ja bei ihrer Tochter ein paar Tage dranhängen und war
nicht dazu gekommen, sich zu melden. Becker war ein Mensch, der jedem seiner
Mitmenschen solche kleinen Versäumnisse gern verzieh, bis zu einem gewissen
Punkt jedenfalls. Noch bedauerte er es nicht, dass er weder die Adresse noch
den Namen der Tochter von Frau Jansen hatte. Sie wird sich schon melden, dachte
er. Sonst könnte er versuchen, sie über die Mobilfunknummer zu erreichen, die
sie ihm dagelassen hatte, »für alle Fälle«. Zumindest schien der Hund pflegeleicht
zu sein und sich im Garten wohlzufühlen. Jedes Mal, wenn Becker nach Hause kam,
dauerte es eine Weile, bis Erko irgendwo hinter den Tannen und Büschen
hervorgeschossen kam, wenn er ihn rief. Natürlich hörte der Hund nicht auf
seinen Namen, obwohl Becker den geradezu penetrant benutzte, um ihn daran zu
gewöhnen. Das Klappern mit dem Fressnapf war es, was ihn anlockte. Vielleicht
sollte er ihn in »Frolic« umtaufen?
***
Rosenmair taperte in seinem Wohnzimmer auf und ab. Er suchte
nach Inspiration, doch alles, was kam, war Transpiration. Ungefähr auf diesem
Level bewegten sich auch seine rhetorischen Bemühungen für die Hochzeitsrede,
zu der er sich mittlerweile durchgerungen hatte. Nach Marlenes SMS hatte er zunächst eine wütende elektronische Antwort
auf den Weg gebracht, die mit den Worten »Wovon träumst du eigentlich nachts?«
begann und so sehr ausuferte, dass sie eigentlich nicht mehr unter die Rubrik
»Kurznachricht« fiel und folgerichtig in drei Teilen verschickt wurde.
Natürlich nicht in richtiger Reihenfolge.
Nach einem klärenden Telefonat am nächsten Tag war Rosenmair wenn
nicht Feuer und Flamme, so doch durchaus bereit, eine Rede zu halten.
Ausschlaggebend war ein Nebensatz von Marlene gewesen, die gesagt hatte: »Schau
doch, Max, je länger du redest, desto weniger Zeit haben andere für ihre
Reden.« Seitdem war Rosenmair wild entschlossen, die Rede aller Reden zu
halten, inhaltlich wie formal, die verhinderte, dass noch irgendjemand anders
das Wort ergriff. Auf der Suche nach den passenden Worten hatte er einmal mehr
zu Wilhelm Busch gegriffen, den er schon zu seiner Zeit als Richter gern bemüht
hatte. Allerdings hatte er keinen blassen Schimmer, wie er zum Beispiel den
schönen Spruch »Ein Onkel, der Gutes mitbringt, ist besser als eine Tante, die
nur Klavier spielt« mit der Hochzeit in Verbindung bringen könnte.
Angesichts der auf der Feier ansonsten zu erwartenden
Scheußlichkeiten war er in seiner Verzweiflung schon bei dem
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