Das letzte Hemd
Fußballverein Borussia Mönchengladbach
(Untertitel: »Ein Fußballklub stürmt an die Spitze«) entdeckte er schließlich
ein Buch mit einem Titel, der ihn aufhorchen ließ: »Die Insel des zweiten
Gesichts«.
Der Autor, ein gewisser Albert Vigoleis Thelen, stammte aus dem
Viersener Stadtteil Süchteln, unweit von Mönchengladbach, und beschrieb in dem
fast tausend Seiten starken Roman seine Zeit vor allem auf Mallorca, nachdem er
vor dem NS -Regime über die Schweiz und Spanien
dorthin geflohen war. Rosenmair begann zu blättern, dann zu lesen und war
gebannt. Über diesen Mann würde er sich genauer informieren müssen, schließlich
hatte er zum Schluss erst in Krefeld und dann in Viersen-Dülken gewohnt, also
nicht wirklich weit weg von hier. Er stellte das Buch zurück ins Regal, zog es
aber ein Stück nach vorn, damit er es später leichter wiederfand.
Die Rede wartete immer noch. Rosenmair schleppte sich wieder an
seinen Schreibtisch, legte das niederrheinische Nachschlagewerk zur Seite und
griff mit einem Stöhnen nach seinem Notizblock. Die fertige Version würde er in
den Computer tippen, für die ersten Entwürfe und Gedankenfetzen benutzte er
lieber Bleistift und Papier. In seiner Zeit in den USA hatte er so einen kompletten, zum Glück nie veröffentlichten Roman geschrieben,
auf diese gelb linierten Notizblöcke, die er so liebte, die sogenannten yellow legal pads . In irgendeiner Kiste schlummerte sein
Werk noch immer vor sich hin; das müsste er sich eigentlich irgendwann mal
wieder anschauen. Sollte er vielleicht jetzt gleich danach suchen? Nein, das waren
doch alles nur Ablenkungsmanöver, um die Rede nicht schreiben zu müssen!
Rosenmair blickte aus dem Fenster. Vorhin hatte er seinen Nachbarn
Becker in dessen Wagen steigen und wegfahren sehen. Was hatte der eigentlich
mitten am Tag hier zu suchen gehabt? Er schüttelte sich – bald war er schon wie
diese Rentner, die aufs Kopfkissen gestützt am Fenster saßen und ihre
Mitmenschen beobachteten. Er ging ins Wohnzimmer. Nicht etwa, um sich ein
Kissen zu holen, sondern die dort stehende Kaffeekanne. Durch das große
Wohnzimmerfenster schaute er in den Garten und nahm, gerade als er sich wieder
umdrehte, um den Raum zu verlassen, im Augenwinkel eine Bewegung wahr. Ein
Busch wackelte, als würde sich jemand dahinter verstecken. Der Richter sah
genauer hin, konnte aber nichts erkennen. Er wollte schon die Balkontür öffnen,
da klingelte es.
***
Becker hatte kein schlechtes Gewissen, den Hund tagsüber allein
zu lassen, aber so ganz richtig erschien ihm das auch nicht. Vielleicht müsste
er doch versuchen, Frau Jansen ausfindig zu machen, nur um sicher zu sein. Das
Blöde war wie gesagt nur, dass er weder wusste, wohin genau sie gefahren war,
noch wie ihre Tochter hieß. Und die Mobiltelefonnummer, die sie ihm in
krakeliger Schrift auf einen Zettel geschrieben hatte, stellte sich gerade als
nicht besonders hilfreich heraus, da sprang nämlich immer sofort die Mailbox
an; ein deutliches Zeichen dafür, dass das Gerät komplett ausgeschaltet war.
Becker hinterließ trotzdem eine Nachricht mit der Bitte, sich
dringend bei ihm zu melden, warf dann sein Mobiltelefon auf den Tisch und nahm
sich die Liste vor, die Stöffel ihm hingelegt hatte. Genau dreizehn
ausgebrannte Autos, verteilt auf mehrere Stadtteile des Großraums
Mönchengladbach, die auf den ersten Blick ohne jeden näheren oder auch nur
weiteren Zusammenhang waren. Und da waren die beiden von heute Morgen noch gar
nicht dabei. Die Fund- oder Brandorte – sagt man das, überlegte Becker für
einen Moment, Brandort? – waren ihm auf den ersten Blick nicht geläufig, ein
paar Straßen kannte er besser, andere nur vom Namen her. Acht Automodelle
gehörten zum normalen, wenn auch eher hochpreisigen Angebotssegment, bei den
anderen fünf handelte es sich um die so beliebten Modegeländewagen, SUV genannt, was »Sport Utility Vehicle« bedeutete, wie
Stöffel ihm gleich in breitestem Pseudoamerikanisch erklärt hatte. Wie die KTU inzwischen durchgegeben hatte, waren drei Modelle
nur zufällig in Flammen aufgegangen, da sie direkt neben brennenden
Luxuskarossen gestanden und deshalb auch Feuer gefangen hatten. Stöffel hatte
auf der Liste auch das jeweilige Baujahr vermerkt, die teuren Modelle waren
allesamt kein Jahr alt, ein Wagen war sogar erst in der Woche davor zugelassen
worden. Allein zwei Autowracks waren in diesem Zusammenhang mit einem
Fragezeichen zu versehen. Beide Fahrzeuge waren
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