Das letzte Hemd
ganz
besondere Zusatzstoffe in den Substanzen. Das gab es wohl, wie die Spezialisten
von der KTU erklärten, aber diese Analyse war
noch zeitaufwendiger und musste gezielt vorgenommen werden. Das ging also nur,
wenn das Auto noch rechtzeitig gelöscht worden und nicht völlig ausgebrannt
war, sprich: wenn man sehr viel Glück hatte. Sollte Becker aber einen konkreten
Verdacht haben, welche genaue Zusammensetzung die Anzünder aufwiesen und mit
welchen Proben man sie vergleichen sollte, würde man sich in dieser Richtung
selbstverständlich bemühen …
Er hätte ihnen allenfalls die genaue Zusammensetzung seines
Lieblingsgrillguts nennen können. Erneut schob Becker den Stapel zur Seite.
Momentan hatte er weder Verdacht noch Richtung, er hatte noch nicht einmal eine
Ahnung – außer der, dass diese hier sicher nicht die letzten brennenden Autos
gewesen waren. Er sah sich noch einmal die Fundorte an. Auf der großen
Umgebungskarte von Mönchengladbach hatte er die Standorte der einzelnen
Autowracks mit gelben Stecknadeln markiert, das half ganz gut bei der Übersicht.
Wenn es sich um eine einzige Tätergruppe handelte, kam die jedenfalls ganz gut
rum, die gelben Stecknadeln verteilten sich einmal rund ums Gladbacher
Stadtgebiet. Er dachte an die amerikanischen Polizeithriller, von denen Stöffel
immer so gern erzählte. In denen erstellten die Ermittler aus den Fundorten
irgendwelcher, meist bestialisch verstümmelter Leichen – bei solchen
Schilderungen hörte Becker lieber weg – irgendwelche okkulten Symbole, indem
sie die einzelnen Punkte miteinander verbanden. Da ergab sich dann das
Sternbild des Täters oder eine Tätowierung, die selbiger auf dem Rücken, der
Brust oder mitten auf dem Kopf trug. Oder gleich sein Konterfei.
Becker verband die Punkte im Geiste. Wirklich hilfreich war das
nicht, für ihn sah das Gebilde aus wie ein windschiefes Parallelogramm oder ein
arg auseinandergezogenes Oktogon. Den Begriff hatte er erst vor ein paar Wochen
bei einem Besuch des Aachener Doms gelernt, dessen Mittelschiff in dieser
achteckigen Form gebaut war, eine architektonische Besonderheit, wie sie zum
Beispiel auch im Felsendom in Jerusalem zu finden ist. Machte das aber die
Täter jetzt zu wütenden Architekten oder gar zu revoltierenden Mathematikern?
Wohl eher nicht.
Er verwarf den Gedanken wieder und machte sich daran, das, was schon
eindeutig ermittelt war, nämlich die Art des Brandbeschleunigers, mit
andersfarbigen Stecknadeln den jeweiligen Autos zuzuordnen. Vielleicht brachte
das ja eine weitere Erkenntnis.
***
Und dann war der Tag der Hochzeit da. Rosenmair hatte sich vorher
noch mit allerlei halbherzigen Aktionen zu drücken versucht und ernsthaft
Überlegungen angestellt, den Pfarrer, Küster oder wer auch immer dafür
zuständig war, zu bestechen, damit wenigstens der kirchliche Teil sich nicht so
in die Länge ziehen würde. Bis Marlene ihm sehr deutlich zu verstehen gab, was
sie davon hielt – und ihm außerdem mit der Aufkündigung ihrer Freundschaft
drohte. Ruhig, aber sehr bestimmt erläuterte sie ihm die Lage: dass er als
Erzeuger sich zwar stets an seine finanziellen Verpflichtungen seiner Tochter
gegenüber gehalten und im Zweifel sogar eher mehr als nötig bezahlt habe. Ganz
im Gegensatz zu so vielen anderen seiner Geschlechtsgenossen, die um jeden Euro
feilschten und immer so taten, als wäre die Unterhaltszahlung nicht für ihr
Kind, sondern für dessen Mutter bestimmt. Trotzdem habe er sich aber sonst kaum
um seine Tochter gekümmert, und so sei es jetzt seine verdammte moralische
Pflicht, selbiges zu tun, vor allem, weil Ann-Britt es sich nach all den Jahren
von ihm wünschte, wenigstens für ihre Hochzeit. Zerknirscht hatte Rosenmair
sich eingestanden, dass sie recht hatte, und am nächsten Tag kommentarlos einen
neuen Anzug und zwei Hemden gekauft. Marlene hatte er schlicht wissen lassen,
sie müsse ihn noch beraten, welches besser passe – da war klar, er würde
mitkommen.
Als ihm aber kurz danach von Ann-Britt eines der eigens gedruckten
Faltblätter mit dem Ablauf der kirchlichen Trauung zugeschickt worden war,
hatte er seinen Entschluss schon bereut und sofort bei Marlene angerufen, um
ihr fast atemlos die vielen Programmpunkte, Fürbitten und Kirchenlieder
vorzulesen, die in dem Blättchen aufgelistet waren. Besonders die Kirchenlieder
stießen ihm sauer auf. »Das wollen die alles singen, sind die noch ganz dicht?
Reicht es nicht, dass der Pfarrer seinen Sermon runterbetet?
Weitere Kostenlose Bücher