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Das letzte Hemd

Das letzte Hemd

Titel: Das letzte Hemd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Puettjer , Volker Bleeck
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zog,
grundsätzlich erst mal nicht verwerflich, auch wenn er über diese Thematik vor
wenigen Jahren vielleicht noch anders gedacht hätte. Überhaupt hatte er
Schwierigkeiten, Frau Kindermanns Ausführungen komplett zu folgen, denn sie
sprang thematisch hin und her und bombardierte ihn dabei mit einer Flut von
Namen – »Das ist der Bäcker, der war mal Pfarrer, das ist der Sohn von der Frau
Winterscheidt, der ist jetzt im Fernsehen!« –, die er noch nie gehört hatte und
hoffentlich auch nie wieder hören würde. Viel schwieriger noch war ihr
spontaner Wechsel zwischen Hochdeutsch und dem niederrheinischen Dialekt,
gerade wenn es um Ortsnamen ging. So brauchte der Richter eine Zeit, bis er
verstand, dass »em Jösche« den zum Kreis Neuss gehörenden Ort Jüchen meinte,
»Jiestebeck« den Mönchengladbacher Stadtteil Geistenbeck. Hochdeutsche
Ausdrücke artikulierte sie dafür manchmal übergenau und gerade deshalb falsch,
wenn sie zum Beispiel erklärte, jemand habe in seinem Garten jetzt einen »Teig«
angelegt – gemeint war natürlich ein stinknormaler Teich.
    Auf Deibel war in Waldniel jedenfalls niemand gut zu sprechen, und
das lag nicht nur an der protzig-geschmacklosen Villa im Toskanastil, die er
sich aufs Feld hatte bauen lassen. Überall war bekannt, dass er a) geizig, b)
angeberisch und c) gern beides zusammen war. Außerdem jammerte er meist auf
hohem Niveau über Steuerlasten und schwindende Unternehmensgewinne, leistete
sich selbst aber vom Sportwagen bis zur prolligen Goldarmbanduhr sämtliches
Spielzeug aus dem Klischeehandbuch für Neureiche. Gern ließ er durchblicken,
dass er ja wieder bei null habe anfangen müssen, als sei er aus der Garzweiler- II -Geschichte mit gerade mal zweihundert Euro Startgeld
herausgekommen wie nach der Währungsreform. Und das, wo jeder wusste, wie es in
Wirklichkeit gewesen war.
    Auch Frauen waren bei ihm so ein Thema. Frau Kindermann senkte ihre
Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern, obwohl in Rosenmairs Hausflur
eigentlich keine heimlichen Lauscher zu befürchten waren. »Die erste Frau
Deibel hat den ja gleich am Anfang verlassen, die war eigentlich ganz patent.«
Frau Kindermann machte deutlich, was das für sie hieß: Die Frau war zwar nicht
dumm wie Brot und hatte ihren Haushalt einigermaßen im Griff, war ansonsten
aber nicht wirklich ernst zu nehmen. Ihren Mann zu verlassen, war wohl die
beste Leistung, zu der sie fähig war.
    Frau Deibels Nachfolgerinnen wechselten dann in immer kürzeren
Abständen, selbst eine freundliche, wenig anspruchsvolle Polin hielt es nicht
lange bei Deibel aus. Angelehnt an dessen Firmenschild machte in Waldniel und
Umgebung bald der spöttische Ausspruch »O, Deibel!« die Runde, wann immer eine
neue Geschichte von ihm zu hören war.
    So schnell, wie Frau Kindermann aufgetaucht war, war sie auch wieder
verschwunden, nachdem Rosenmair sich erschöpft auf die Absprache eingelassen
hatte, dass sie morgen früh pünktlich um acht Uhr da sein würde, um sich vor
Ort einen Eindruck zu verschaffen. Zuerst hatte sie sieben Uhr gesagt,
anscheinend war sie Frühaufsteherin. Das hatte Rosenmair so gerade noch
verhindern können. Irgendwie war er seit der Hochzeit noch nicht wieder ganz er
selbst – normalerweise ließ er sich nicht so überfahren, viel eher war er es,
der die Leute plättete. Aber Frau Kindermann verstand ihr Handwerk. Hoffentlich
war sie auch als Putzfrau zu gebrauchen.
    »Na, Weinliebhaber waren das aber nicht.« J.P. inspizierte die Kartons, die Rosenmair gerade aus
dem Wagen in sein Restaurant brachte. »Da hast du dich wohl ein bisschen
verschätzt, mon cher .«
    Rosenmair zog eine Grimasse und stellte den Karton auf den Boden.
»Also, ich hab mich redlich bemüht, da kann mir
keiner was vorwerfen. Aber wenn diese Banausen nur Bier und irgendwelche
widerlichen Mixgetränke saufen, haben sie es nicht anders verdient. Das war
jedenfalls der letzte Wein, den ich dem glücklichen Paar spendiert habe.«
    J.P. half Rosenmair mit den Kisten und
bugsierte ihn dann in die Küche. »Café?«
    » Mais oui , gern auch mit einem kleinen
Calvados dazu. Ich hatte gerade so eine unheimliche Begegnung, die ist mir
etwas auf den Magen geschlagen.«
    »Begegnung? Mit einem Alien ?«
    »Fast. Mit einer Putzfrau.«
    J.P. lachte und ließ sich die
Geschichte mit Frau Kindermann erzählen.
    Als Catherine hinzukam, warf sie zunächst einen erstaunten ersten
und dann einen spöttischen zweiten Blick auf Rosenmairs

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