Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das letzte Hemd

Das letzte Hemd

Titel: Das letzte Hemd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Puettjer , Volker Bleeck
Vom Netzwerk:
geblümte Frohnatur für seine gebügelten Hemden sorgte, würde er
auch über nicht vorhandene Witze lachen.
    Frau Kindermann deutete auf die Weinkisten in Rosenmairs Kofferraum.
»Sie trinken wohl gern Wein, was? Für mich ist das ja nichts – obwohl, so einen
schönen Süßen zum Essen, da sag ich nicht Nein, und nicht nur beim Wein, hahaha …«
    Spontan setzte beim Richter der Kopfschmerz ein. Konnten gebügelte
Hemden das wirklich wert sein? Doch dann kam Frau Kindermann zur Sache.
    »Also, die arme Frau Kolbich kann ja jetzt erst mal nicht, die arme
Frau, der arme Mann …« Die weiteren Zusammenhänge ließ sie offen und redete
einfach nahtlos weiter. »Furchtbar. Zweimal die Woche könnte ich kommen, so
viel ist ja nicht zu tun, oder? Und finanziell werden wir uns bestimmt einig,
ich hab ja früher auch für den Pastor saubergemacht und beim alten
Bürgermeister, das war ein echter Herr …«
    Die kurze Redepause nutzte Rosenmair, um die Kofferraumklappe
zuzudonnern. Ob der Pastor ein oder vielleicht kein echter Herr war, wollte er
nicht erörtern, obwohl Rosenmair fast sicher war, dass ihn bald weitere
Geschichten aus dem näheren und weiteren Umfeld der Frau erwarteten und
vermutlich eher aus der unteren Schublade, wenn er nicht aufpasste. Eines
interessierte ihn aber doch, und vielleicht konnte Frau Kindermann ihm da
schnell einen Überblick verschaffen, die schien schließlich bestens im Bilde zu
sein. »Wie ist denn das mit Herrn Kolbich und dem Unfall überhaupt passiert?«
    Diese an sich harmlose Frage entpuppte sich als schwerer Fehler.
Denn Frau Kindermann holte weit aus.
    Grob zusammengefasst konnte man sagen, dass Kolbich, sein Kollege
Wehmeyer und mehrere andere Arbeiter in einer Lagerhalle im Mönchengladbacher
Süden zugange gewesen waren; es ging um Umbau- und Schweißarbeiten, auf dem
Gelände einer ehemaligen Textilmaschinenfabrik sollte ein riesiger
Fitnessstudiokomplex entstehen. Doch dann war es zu einer gewaltigen Explosion
gekommen, die besonders die Männer um Kolbich und Wehmeyer getroffen hatte.
Wehmeyer und zwei Kollegen waren noch am Unfallort gestorben, Kolbich lag
seither im Koma, mehrere andere Arbeiter ebenfalls im Krankenhaus. Angestellt
waren alle bei einem gewissen Deibel, und das schon seit Jahren, doch irgendwie
war es schon länger nicht mehr gut gelaufen, aber warum, wusste selbst Frau
Kindermann nicht so genau. Über Deibel hatte sie dennoch genug zu berichten,
allerdings nichts Gutes: »Der hat sich eine goldene Nase verdient, gleich
mehrfach, weil er da rumgetrickst hat, mit Garzweiler zwo.«
    Rosenmairs Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
    »Ach, stimmt, Sie sind ja nicht von hier …«, sagte Frau Kindermann
in einem Ton des Bedauerns, als habe er gerade beide Eltern verloren. Geduldig
erklärte sie die Umstände: Vor Jahren schon begann der Energiekonzern
Rheinbraun, der später in RWE Rheinbraun  AG unbenannt wurde und heute RWE Power  AG heißt, im großen Stil Braunkohle im
Tagebau abzubauen, in einem immer größer werdenden Gebiet zwischen Köln, Aachen
und Mönchengladbach. Dieser Großtagebau, der durch die Zusammenlegung mehrerer
Abbaufelder entstand, erhielt den Namen des Dorfes Garzweiler, südlich von
Jüchen, das es heute an dieser Stelle nicht mehr gibt. Vielmehr wurden alle
Anwohner in den Retorten-Ort Neu-Garzweiler umgesiedelt, der heute wieder
Garzweiler heißt, der Rest wurde einfach untergegraben.
    Rosenmair erinnerte sich jetzt an Berichte aus der Presse, auch über
den riesigen Bagger, der immer wieder umziehen musste, was eine Zeit lang wohl
ein echtes Medienspektakel gewesen war.
    Wie immer bei Projekten solcher Größenordnung gab es auch hier
Verlierer und Gewinner. Viele Anwohner wehrten sich dagegen, ihre Heimat zu
verlassen, sie wurden abgefunden oder enteignet. Unter denen, die aus
Garzweiler  II einen großen Nutzen und
finanziellen Vorteil zogen, war der Bauunternehmer Otto Deibel, der sich nicht
nur für sein Firmengrundstück, sondern auch für sein Privathaus fürstlich
entschädigen ließ. Um wie viel es ging, wusste niemand genau, man munkelte aber
von mehreren Millionen. Und möglich sei das nur gewesen, weil Deibel die richtigen
Leute kannte, die passenden Verbindungen hatte, auch und gerade in die Politik.
    »Sie müssen sich das mal vorstellen, Herr Richter, und dann kommt
der hier nach Waldniel!« Ihr Gesichtsausdruck war reine Empörung.
    Rosenmair fand die Vorstellung, dass jemand nach Waldniel

Weitere Kostenlose Bücher