Das letzte Hemd
dass dem zukünftigen
englischen König, der vielleicht zu Besuch kam, nun ausgerechnet in
Mönchengladbach etwas passieren könnte. Wobei Charles’ Teilnahme am Musikfest
zum aktuellen Zeitpunkt ungefähr so wahrscheinlich war wie die Möglichkeit,
dass er wirklich irgendwann König sein würde.
Becker sah auf die Uhr. Stöffel hatte sich zu einem Lehrgang
abgemeldet, es gab wohl tatsächlich speziell ausgebildete Brandhunde, die jedes
Brennmittel erschnüffeln konnten, auch an einer verkohlten Brandstelle. Dadurch
sollte sich im Fall der abgebrannten Lagerhalle nun klären, ob Brandstiftung im
Spiel war. Stöffel hätte die ganze Sache natürlich den Spezialisten überlassen
können, hatte sich aber zu Beckers Erstaunen freiwillig gemeldet und bereits
ein Wochenende für den Kurs geopfert. Becker konnte das nur begrüßen, denn
offensichtlich war Stöffel ein Hundenarr. Vielleicht würde er ihm ja mit Erko
helfen können, schließlich hatte Becker immer noch keinerlei Lebenszeichen von
dessen Frauchen bekommen. Er hatte ihr schon etliche Nachrichten hinterlassen,
auf der Mailbox und per SMS , bislang aber keine
Antwort erhalten.
Jetzt klingelte es, allerdings dienstlich. Becker hoffte inständig,
dass nicht schon wieder irgendwo Autos brannten, langsam konnte er das nicht
mehr hören. Er hörte dem Kollegen einen Augenblick zu, kündigte sein Kommen an
und legte auf, durchaus ein bisschen erleichtert. Eine stinknormale Prügelei in
einer einschlägig bekannten Kneipe, zwei geständige Täter, viel Alkohol im
Umfeld. Routine halt.
***
Rosenmair wuchtete die Weinkiste in den Kofferraum des Autos. Er
hatte den Eindruck, dass er der Einzige war, der auf dieser Hochzeit Wein
getrunken hatte, vielleicht noch Marlene. Für ihn ein weiteres Zeichen, dass
diese Menschen keine Kultur hatten. Sicher, gegen ein gutes Bier war nichts zu
sagen, auch da gab es durchaus Qualität. Aber diese ganze
»Baggerfahrerklientel«, wie er die Leute um Ann-Britts Schwiegervater nannte,
war irgendwann einfach auf Hochprozentiges umgeschwenkt, hatte klare Schnäpse
in gefüllten Bierseideln versenkt oder gewagte Kombinationen aus süßen Säften,
Softdrinks und jeder Form von Rum oder Wodka erstellt. Erstaunlich, dass nicht
mehr ernsthafte Abstürze zu verzeichnen gewesen waren. Man war anscheinend
geübt.
Jedenfalls hatte er einige Kisten Wein wieder mitgenommen und wollte
einen Teil davon nun zurück zu J.P. bringen, der
sicher auch schon gespannt war auf seinen Bericht. Er ging zurück ins Haus,
holte die nächste Kiste und sah sich auf dem Rückweg missmutig im Spiegel an.
Heute Morgen war kein gebügeltes Hemd mehr im Schrank gewesen, jetzt trug er
notgedrungen ein schlabberiges Sweatshirt, das er sonst nur zur Gartenarbeit
anzog. Ohne frisches Oberhemd fühlte Rosenmair sich unwohl und auch unpassend
angezogen. Im ersten Moment hatte er gleich bei Frau Kolbich anrufen wollen,
wann sie denn eigentlich mal wieder bei ihm vorbeizukommen gedenke. Aber dann
war ihm die Geschichte mit Frau Kolbichs Mann und dem Unfall eingefallen und
dass sie ja gesagt hatte, dass sie erst mal nicht mehr kommen könne. Leider
hatte Rosenmair ihr nur mit halbem Ohr zugehört und wusste daher nicht mehr,
was sie genau gesagt hatte.
Just in diesem Moment trat eine große, resolut wirkende Frau im
geblümten Kittelkleid durch die offen stehende Haustür, strahlte ihn an und
reichte ihm mit den Worten »Na, das ist doch bestimmt unser Herr Richter
Rosenmair, was?« die Hand. Sie sprach mit ihm wie zu einem Haustier oder einem
Schwachsinnigen. Einem ziemlich schwerhörigen Schwachsinnigen, denn sie brüllte
den Satz förmlich in seine Richtung.
Rosenmair war zu verdattert, um angemessen zu reagieren, er gab ihr
die Hand und meinte nur: »Äh, Rosenmair reicht, Richter war ich mal …«
Sie strahlte immer noch. »Ja, Herr Richter, Rosenmair, meine ich.
Die Frau Kolbich schickt mich, ich soll sie vertreten, solange sie sich um
ihren Mann im Krankenhaus kümmern muss. Also, ich bin die Frau Kindermann.« Sie
schüttelte seine Hand ausgiebig im Rhythmus der Silben ihres Nachnamens; auch
das hatte ein bisschen den Anschein, als wollte sie ihrem etwas
begriffsstutzigen Gegenüber zuerst einmal ihren Namen beibringen. Zufrieden sah
sie sich um. »Na, Sie haben’s aber schön hier, das hat mir die Frau Kolbich gar
nicht verraten, wollte sie bestimmt für sich behalten, hahaha.«
Rosenmair sah den Witz nicht, lachte aber vorsichtshalber höflich
mit. Wenn diese
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