Das letzte Hemd
Hand hob, und ging.
»Es kommt der Tag, da will die Säge sägen«, murmelte Larry halblaut
vor sich hin und machte sich auf die Suche nach dem richtigen Kabel. Er war
schon sehr gespannt, was ihm die Blackbox mitzuteilen hatte.
Becker war sicher, dass er das Richtige getan hatte. Jetzt
hoffte er nur, dass ihn auch weiterbringen würde, was Larry dem Gerät
entlockte. Aber es konnte schon nicht ganz unwichtig sein, wenn die Briten so
interessiert daran waren. Er hoffte, dass Stöffel sie weiter hinhalten konnte,
bevor sie an anderen Stellen Druck ausübten, um an die Blackbox zu kommen.
Er bog in die Dahlener Straße in Rheydt ein. Den Besuch bei der
Autobahnpolizei hätte er sich komplett schenken können, denn zum einen war sein
alter Freund Toni gerade unterwegs gewesen, zum anderen erwies sich die Spur
mit dem silbernen Škoda als völlige Niete. Das Auto hatte ganz einfach eine
Panne gehabt und leicht vor sich hin gequalmt. Da aber auch bei der
Autobahnpolizei inzwischen bei jedem Hinweis auf Qualm und Rauch die
Alarmglocken angingen, hatte der überforderte Jungpolizist, der gerade Dienst
tat, gleich die Nummer der Soko gewählt. Das Auto war dem ADAC übergeben worden, Becker hatte dem Polizisten
Grüße an Toni aufgetragen und war weitergefahren.
Am Schmölderpark bog Becker ab und sah zur Linken schon die Villen
im abendlichen Schein der Straßenlaternen liegen. Der Schmölderpark hieß früher
mal Kaiserpark, so viel wusste Becker noch. Wer oder was dieser Schmölder war,
wusste er nicht. Dass Becker seine Informationen über die Gladbacher Geschichte
mehrheitlich aus einem Buch über Nazi-Propagandaminister Josef Goebbels hatte,
der gar nicht weit von hier geboren war, war ihm schon ein bisschen peinlich.
Aber man konnte ja nicht alles über die Stadt, in der man lebte, wissen. Und
inzwischen lebte Becker ja auch in Waldniel und kam eigentlich nur noch zur
Arbeit nach Mönchengladbach, was ihm auch ganz recht war.
Nachdem er die Hausnummer entdeckt hatte, parkte er am Straßenrand
und stieg aus. Er hoffte, dass Frau Strüssendorf auch zu Hause war. Sein Kommen
hatte er nicht angemeldet, die Erfahrung lehrte, dass das oft von Vorteil war.
Auf dem protzigen, auf Hochglanz polierten Klingelschild stand in
großen geschwungenen Lettern »Strüssendorf«, kein Vorname und auch kein Zusatz
wie »Familie« oder so. Oft fand man bei Politikern und anderen in der Öffentlichkeit
stehenden Personen überhaupt keinen Namen oder allenfalls die Initialen. Dieses
Haus jedoch zeigte schon im Eingangsbereich, dass man stolz auf das Erreichte
war, dass jemand wie Matthias Strüssendorf sich nicht verstecken musste.
Über dem Schild war ein Kameraauge angebracht. Becker drückte auf
die Klingel. Den melodischen Mehrtongong im Inneren des Hauses konnte er nur
erahnen, so weit war der Eingang von der Pforte entfernt. Es dauerte eine ganze
Weile, sodass Becker schon versucht war, ein weiteres Mal zu klingeln, doch
dann kam ein fragendes »Ja, bitte?« aus der Gegensprechanlage.
Becker lehnte sich vor. »Guten Abend, Frau Strüssendorf,
Kriminalhauptkommissar Becker hier, hätten Sie einen Moment Zeit? Ich würde
Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
Die Antwort kam nach kurzer Bedenkzeit: »Haben Sie einen Ausweis?«
Becker kramte seinen Dienstausweis hervor und hielt ihn vor die
Kamera. Er konnte die Frau gut verstehen, dass sie nicht einfach jeden
hereinlassen wollte. Allerdings fragte er sich auch immer ein wenig, was die
Leute in so einem Dienstausweis zu sehen glaubten. Eine gute Fälschung würden
sie eh nicht erkennen, wahrscheinlich nicht mal eine schlechte. Am ehesten
noch, dass der Ausweis nicht ganz so aussah, wie man es aus den Krimis im Fernsehen
kannte.
Frau Strüssendorf schien jedenfalls überzeugt, denn kurz danach
summte die Türpforte auf. Becker ging über knirschenden weißen Kies zum Haus
und dachte im selben Moment, so etwas wäre selbst im Fernsehkrimi ein bisschen
zu viel des Guten.
Cordula Strüssendorf entsprach zum Glück so gar nicht dem Klischee
der Politikergattin, auf den ersten Blick jedenfalls. Das konnte aber auch
daran liegen, dass der erste Blick unweigerlich auf ihren gewaltigen
Schwangerschaftsbauch fiel. Sie reagierte sehr gelassen, indem sie Becker
freundlich die Hand reichte und sagte: »Kann jeden Moment so weit sein.«
Becker fühlte sich ertappt und murmelte eine Entschuldigung, auf die
sie gar nicht einging. Sie führte ihn in das helle, große Wohnzimmer,
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