Das letzte Hemd
das ist im Moment schon ziemlich anstrengend.« Sie deutete
auf ihren Leib. Becker nickte verstehend. »Ja, und am nächsten Tag wurde ich
irgendwann mittags angerufen und war im nächsten Moment im Krankenhaus bei
meinem Mann.«
Becker notierte in leicht schiefen Druckbuchstaben »Hundefutter«.
Das machte er immer so bei Verhören, als kleines taktisches Spielchen. Obwohl
das hier streng genommen nicht mal ein Verhör war.
Er schloss das Notizbuch wieder und sah sofort, dass sie nicht
darauf hereingefallen war, zumindest interpretierte er diesen leicht
spöttischen Zug um ihre Lippen so. Also weiter. »Ihr Mann war recht häufig im
Fernsehen, stimmt’s?«
Sie nickte, es lag deutliches Missfallen in der Bewegung. »Wo immer
eine Kamera lief, hat er etwas hineingesagt. Er hätte wahrscheinlich auch noch
vor unseren Überwachungskameras Interviews gegeben, wenn es möglich gewesen
wäre.«
»Sie fanden das nicht gut?«
Sie machte eine undifferenzierte Geste. »Ach, ihm hat’s halt Spaß
gemacht. Und für die Bekanntheit war’s gut, und damit auch für die Karriere.
Man kann den größten Blödsinn daherreden, wenn man es vor einer Fernsehkamera
tut, kennt einen halb Deutschland und man darf in der nächsten Woche gleich
noch mal ran.« Sie lächelte. »Das klang jetzt vielleicht etwas gehässig.«
Becker überging die Bemerkung. »Sie erwähnten, er sei abends in die
Talkshow eingeladen gewesen. Wussten Sie nicht, dass die Sendung schon am
Nachmittag aufgezeichnet wird?«
Was auch immer Becker an Reaktion erwartet hatte, Schock,
Entrüstung, Leugnen, es kam nicht. Sie sah ihn an, fast ein bisschen
enttäuscht. »Ich bin nicht vor die Pump jesaust, wie mein Opa immer so schön
sagte. Natürlich wusste ich, dass das eine Aufzeichnung war, schon immer.«
Becker merkte, dass das vielleicht nur die halbe Wahrheit war, so
gewollt souverän hatte es geklungen. Er zuckte die Achseln. »Also ich wusste
das nicht. Ich dachte, wenn es Live-Talk heißt, ist es auch live. Aber warum
hat Ihr Mann denn dann im Hotel übernachtet? Er hätte doch bequem zum Beginn
der Sendung wieder zu Hause sein können, um sie sich zusammen mit Ihnen
anzusehen, oder?«
Ihr kurzes Lachen verriet ihm mehr als ihre nachfolgende Antwort. »Ja,
stimmt. Aber für ihn gehörte das irgendwie dazu: ins Studio gebracht zu werden,
vom Studio ins Hotel, da übernachten, am nächsten Morgen frühstücken und
entweder nach Hause oder gleich in irgendwelche Ausschuss-Sitzungen, die sind
ja gern auch mal am Samstag.«
Becker dachte gerade, dass man es als Politiker manchmal wirklich
nicht leicht hatte, als sie noch etwas hinzufügte. »Außerdem war alles
umsonst.« Sie lachte noch einmal, kurz und freudlos. »Wahrscheinlich war das
sogar das ausschlaggebende Detail. Es war zwar viel teurer, ihn dort im Hotel
unterzubringen, als wenn er nach Hause gekommen wäre, aber das übernahm ja
alles die Produktionsfirma.«
Für Becker rundeten diese erstaunlich offenen Aussagen nur den
Eindruck ab, den er mittlerweile von Matthias Strüssendorf bekommen hatte.
Leute wie ihn gab es in allen Gesellschaftsschichten. Leute, die alles
mitnahmen, was nur möglich war, weil es möglich war,
auch wenn sie es gar nicht nötig hatten. Die nur beim Discounter einkauften,
obwohl sie sich den örtlichen Feinkostladen leisten könnten, und die selbst
beim Kauf preisreduzierter Ware noch auf Rabatten bestanden. Die
Schnäppchenmentalität nahm immer mehr überhand in Deutschland; Becker machte
das müde und manchmal auch ein bisschen wütend. Und irgendwie wusste er gerade
gar nicht mehr, was er eigentlich noch fragen wollte. Frau Strüssendorf schien
es ähnlich zu gehen.
»Haben Sie noch weitere Fragen, Herr Kommissar? Ich würde mich sonst
gern ein wenig ausruhen.«
Becker nickte und wollte schon aufstehen, aber dann fiel ihm doch
noch etwas ein. »Wann waren Sie denn bei Ihrem Gynäkologen? Das müsste ich noch
wissen, für die Akten«, beeilte er sich hinzuzufügen.
Sie zog die Stirn kraus. »Ja, wann war ich da? Ich nehme gern eher
späte Termine, dann ist das mit dem Verkehr nicht so schlimm. Das geht ja zum
Glück heutzutage.«
Becker wusste, was sie meinte, obwohl Privatkliniken sicher auch
früher schon entgegenkommend gewesen waren.
Sie stand etwas mühevoll auf und holte ein kleines Notizbuch aus
ihrer Handtasche – so dachte Becker jedenfalls, bis sich das »Notizbuch« als
Smartphone entpuppte. Sie tippte kurz darauf herum, dann hatte sie den
gesuchten
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