Das letzte Kind
»Auf den Feldern hier wächst wilde Hirse«, sagte Johnny. »Blaubeeren auch, und jede Menge Eicheln. Das hat nichts zu bedeuten.«
»Hast du sie schon mal so gesehen? Hier? So ganz still?«
Johnny betrachtete die Vögel. Er hatte noch nie Krähen bei der Scheune gesehen, jedenfalls nicht so. Völlig still hockten sie da und fixierten den Truck mit harten Augen. Ihre Federn glänzten wie schwarzes Glas. »Das sind bloß Vögel«, sagte er und öffnete die Tür. Er hob einen Stein auf und warf ihn zum Dach, wo er dicht neben den Krähen auf die Schindeln klapperte. Sie starrten weiter herunter, und als sich Johnny nach dem nächsten Stein bückte, flatterten sie auf und flogen zu den Bäumen hinüber. »Siehst du.«
Jack stieg aus. Sie ließen die Heckklappe herunter und brachten Freemantle so weit zu sich, dass sie ihn in die Scheune schaffen konnten. Es dauerte eine Weile, aber dann lag er ausgestreckt auf dem Boden. »Er stinkt immer schlimmer«, stellte Jack fest.
»Das Fieber steigt weiter.«
»Und jetzt?«
Sie standen draußen. Die windzerzausten Bäume ragten grün über das Buschwerk, und da, wo vor zwei Nächten ihr Feuer gebrannt hatte, war die Erde schwarz. »Unser Haus ist hinter dem großen Felsen, zwischen den Bäumen da hinten. Man springt über den Bach, und dann sieht man es schon.«
Freemantles Stimme kam aus der Scheune. »Man springt über den Bach, und dann sieht man es schon ...«
Die Jungen warteten, aber Freemantle sagte nichts weiter. Er lag still in der halbdunklen Scheune. »Willst du zu deiner Mom?«
Johnny schaute zu Freemantle hinein. »Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. Vielleicht kann sie mit Detective Hunt sprechen. Ich weiß es doch nicht, Mann. Wenn sie nicht da ist, bring ich sauberes Wasser und was zu essen mir. Und Medizin, wenn wir welche haben. Ich brauche nur eine Minute. Er muss eine Minute mit mir reden.«
»Das ist aber kein Plan, Johnny.«
Er zuckte die Achseln. »Wenn ich nicht bald etwas zustande bringe, rufen wir einen Krankenwagen, die Cops oder was weiß ich.«
Jack bohrte die Spitze seines Turnschuhs in den immer noch feuchten Boden. »Und wenn er stirbt? Das wäre ein ziemlicher Hammer, Mann.«
Johnny schaute in das graue Innere der Scheune und schwieg.
»Und ich?«, fragte Jack. »Was soll ich machen?«
»Jemand muss hierbleiben.«
»Ich will mitgehen.«
»Nein.«
»Er schläft doch, Johnny. Was ist, wenn du in Schwierigkeiten kommst? Dann ist niemand da, der dir hilft.«
Was er da sagte, leuchtete ein, aber Johnny wusste, dass sein Freund in Wahrheit nur Angst hatte. Er holte den Revolver aus dem Truck und gab ihn Jack. »Bleib einfach außer Reichweite«, sagte Johnny.
Jack starrte in die Scheune und schluckte angestrengt. »Du schuldest mir was«, sagte er. »Vergiss das nicht.« Aber Johnny war schon losgegangen. Jack schaute ihm nach, bis er zwischen den Bäumen verschwand, dann wandte er sich der Scheune zu und zwang sich hineinzugehen.
Zwei Minuten später landete eine einzelne Krähe auf dem Dach. Dann noch eine.
ZWEIUNDFÜNFZIG
H unt gelangte ohne ernsthafte Zwischenfälle durch die Reihen der Journalisten. Vielleicht lag es an seinem Gesichtsausdruck, vielleicht auch an der Mauer aus blauen Uniformen, die strammstanden, als er vorbeistürmte. Ein Reporter war bereits durch die Absperrung geschlüpft, und das war Murks. Noch einer, und jemand würde seinen Job verlieren. Ganz sicher. Dafür würde Hunt selbst sorgen.
Kaum ein Sonnenstrahl drang auf den Waldboden, der immer noch schwammig und feucht war. Die Luft war klamm. Hunt lief eilig den Hang hinunter.
Als er am Rand der Senke stehen blieb, spürte er, dass sich die Atmosphäre verändert hatte. Ein erwachsenes Opfer kam unerwartet, und niemand konnte sich einen Reim darauf machen. Dass sie Johnnys Vater gefunden hatten, brachte den Fall auf eine neue Ebene.
Die Leute waren dabei, es zu verarbeiten.
Hunt sah zwei Mediziner aus Chapel Hill, die über einer frisch ausgehobenen Grube in der Mitte der Mulde die Köpfe zusammensteckten. Das dürfte die nächste Leiche sein. Er ignorierte sie. Zu seiner Rechten standen ein paar Leute angespannt an einem zwei Meter langen Campingtisch, der auf dem abschüssigen Boden leicht schräg geneigt war. Cross. Der Chief. Trenton Moore, der Rechtsmediziner von Raven County. Alle drei schauten ihn an und warteten.
Der Leichensack auf dem Boden war länger als die andern.
Dicker.
Hunt ging hinüber, blieb einen Schritt vor dem Sack
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