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Das letzte Kind

Das letzte Kind

Titel: Das letzte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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konnten ihn trotzdem hören. »Keine Krähen.«

FÜNFZIG
    H unt war schon ein gutes Stück weit nördlich der Stadt, als Cross anrief. Beim zweiten Klingeln nahm er das Gespräch an.
    »Was gibt's?«
    Einen Augenblick lang hörte er nur statisches Rauschen. Dann sagte Cross: »Sie sollten lieber herkommen.« Er schwieg. Im Hintergrund waren leise Stimmen zu hören.
    »Was ist los?«, fragte Hunt.
    »Die erste Leiche ist eben exhumiert.«
    »Nicht Alyssa.« Dunkelheit breitete sich aus.
    »Nicht Alyssa.«
    »Dann —«
    »Es ist Alyssas Vater.« Er atmete ein. »Johnnys Vater.«
    Hunt fuhr an den Straßenrand und hielt an. Die Räder verließen den Asphalt, und die Welt kippte zur Seite. »Sind Sie sicher?«
    Cross antwortete nicht. Im Hintergrund hörte Hunt lautes Rufen, dann schrie auch Cross. »Keine Reporter, keine Reporter. Schafft ihn hier weg. Sofort. Weg mit ihm.«
    »Cross?«
    Cross war wieder da. »Haben Sie das gehört?«
    »Ja.«
    »Kommen Sie lieber her.«
    Hunt schaute die schmale Straße entlang. In der Ferne flirrte die Luft, und er sah einen klapprigen Truck, der aus einem Seitenweg kam. Es sah aus, als bewege er sich gar nicht. Die untere Hälfte verschwamm im Hitzeflimmern.
    »Detective Hunt ...«
    Johnnys Dad.
    »Detective?«
    »Riegeln Sie alles ab«, sagte Hunt. »Ich bin unterwegs.«
    Er riss das Lenkrad herum und wendete. Was er da gehört hatte, ergab keinen Sinn. Spencer Merrimon war tot.
    Katherines Mann.
    Tot.
    Hunt blinzelte in die Sonne. Nichts davon ergab irgendeinen Sinn — aber dann plötzlich doch. Hunt verstand. Mitleid stieg ihm in die Kehle, Trauer und Gewissheit. Er schüttelte den Kopf, und der Asphalt hinter ihm verblasste zu Metall, zu einem leuchtenden Silberdunst, in dem der ferne Truck zu schweben schien.

EINUNDFÜNFZIG
    F reemantle redete immer noch, übertönte mit seiner Stimme Wind und Motorengeräusch. Dieselben Worte. Immer wieder. »Der Typ macht mich fertig.« Jack drehte das Radio auf und fing an, auf die Tasten zu drücken. Auf allen Sendern, die er fand, lief entweder Gospelmusik oder eine Predigt. Er drehte am Knopf und murmelte vor sich hin. Johnny hörte, was er sagte: »... halt die Klappe, halt die Klappe ...« Es klang halb wütend, halb verängstigt. Jack fummelte am Regler, bis er von einem Ende der Skala zum andern gekommen war. »Hier draußen läuft nur Scheiß.« Er schaltete das Radio ab und lehnte sich zurück, und Johnny bog auf den Weg, der hinausführte. Sie folgten ihm bis zur Straße; Jack öffnete das Tor und schloss es hinter dem Truck wieder. Er behielt Freemantle im Auge, aber der Riese war endlich verstummt. Seine Finger waren gekrümmt. »Er ist wieder ohnmächtig.«
    Johnny warf einen kurzen Blick nach hinten und legte den Gang ein. Der Truck rollte auf den glänzenden Asphalt. Die Straße sah aus wie eine Schlange mit ihrem gelben, schwarz verschlissenen Mittelstreifen. Vor ihnen parkte ein Auto am Straßenrand. Es verschwamm in der Hitze, aber Johnny sah, wie es plötzlich anfuhr, wendete und mit hohem Tempo davonfuhr. »Soll ich dich irgendwo absetzen?«
    Jack sah aus, als sei die Versuchung groß. Johnny bemühte sich, nicht zu sehen, wie sein Freund das Gesicht verzerrte und mit der rechten Hand in einem harten Rhythmus auf den Türrahmen trommelte. Jack hatte Angst. Wenn er aussteigen wollte, sollte er aussteigen. Aber als Jack schließlich antwortete, war es ein verbales Achselzucken. »Ist noch zu früh.«
    Und das war's.
    Jack war dabei.
    Sie fuhren zurück zur Stadt, hinaus aus der weiten Leere, vorbei an den alten Herrenhäusern und Golfplätzen und dann westwärts durch ein weiteres einsames Gelände, das bis an die Rückseite von Johnnys Haus reichte. Johnny fand die schmale Lücke in der langen Reihe der Kiefern und bog auf einen Feldweg ein. Wieder öffnete und schloss Jack ein Gatter, und sie fuhren auf die verlassene Tabakfarm, durch die lichten Reihen der Bäume und an der Weggabelung nach links. Es ging einmal bergab und dann wieder hinauf und nach rechts, wo die Tabakscheune im Gebüsch stand. Johnny fuhr um die Ecke und hielt an.
    Eine einzelne Krähe saß auf dem Dachfirst. Sie öffnete den Schnabel, und drei weitere landeten neben ihr. Johnny spürte, wie Jack neben ihm erstarrte, und er sah, wie Jacks Finger zu seinem Hemd wanderten, unter dem das silberne Kreuz auf seiner Haut lag. »Entspann dich.« Jack beugte sich vor und spähte durch die Frontscheibe nach oben. Eine fünfte Krähe flatterte auf das Dach.

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