Das letzte Kind
einen neutralen Gesichtsausdruck. »Wann haben Sie Mr. Holloway zuletzt gesehen oder gesprochen ?«
»Er war irgendwann gestern das letzte Mal hier.«
»Und andere in diesem Gebäude wären bereit, das zu bestätigen?«
»Das nehme ich an.«
Taylor ließ den Blick langsam durch die Halle wandern — über die Bilder an den Wänden, den Gebäudewegweiser, die Aufzüge.
Dann legte sie eine Karte auf die Theke. »Bitte sagen Sie Mr. Holloway, er soll diese Nummer anrufen, wenn er kommt.«
»Ja, Ma'am.«
Taylor starrte ihr in die Augen und ging hinaus, wie sie hereingekommen war, mit langsamen, gleichmäßigen Schritten, eine Hand auf dem breiten Vinylgürtel. Im Wagen schaltete sie den Laptop ein und überprüfte bei der Zulassungsbehörde, welche Fahrzeuge Ken Holloway besaß. Neben dem Escalade fand sie einen Porsche 914 einen Land Rover und eine Harley-Davidson. Sie fuhr noch eine Runde über den Parkplatz, aber sie fand nichts. Sie nahm ihren Block und schrieb neben den Namen der Rezeptionistin: Sagt wahrscheinlich die Wahrheit.
Holloways Haus stand auf dem Gelände eines der großen Golfplätze am reichen Ende der Stadt. Der Golfplatz selbst war privat und dehnte sich rund um ein palastähnliches Clubhaus aus Bruchstein und Efeu. Kein Haus in der Straße war weniger als zwei Millionen Dollar wert, und das Holloways war das größte, ein weißer Monolith auf anderthalb Hektar manikürtem Rasen. Auf halbem Weg in der Zufahrt kam Taylor an der Statue eines breit lächelnden schwarzen Lakaien mit einer Laterne vorbei.
Taylor stieg aus und ging die breite Treppe zur Veranda hinauf. Der Boden bestand aus lackiertem Schiefer, und die Haustür war offen. Erst war es ganz still, dann zwitscherte ein Vogel, und schließlich hörte Officer Taylor jemanden weinen.
Eine Frau. Im Haus.
Taylors Hand legte sich auf den Kolben ihrer Waffe. Mit dem Daumen streifte sie den ledernen Sicherungsriemen herunter und trat an die offene Tür. Sie sah eine Axt auf dem Boden neben dem, was von einem Flügel noch übrig war: Der Deckel war zersplittert, die Tastatur zerschmettert, und die elfenbeinernen Tasten lagen verstreut auf dem Teppich. Alles andere sah unberührt aus.
Taylor griff zum Funkgerät und rief die Zentrale. Sie gab ihren Standort durch und forderte Verstärkung an. Dann zog sie die Waffe, kündigte sich an und trat über die Schwelle. Es roch nach Alkohol. Sie sah offene Flaschen auf einem Couchtisch. Eine war leer, die andere noch halb voll.
Das Weinen kam von weiter hinten. Aus der Küche vielleicht. Oder aus einem Schlafzimmer. Durch einen Türbogen gelangte Taylor ins Wohnzimmer. Sie schaute nach rechts und sah einen Spiegel, der auf dem Sofa lag. Die weißen Streifen darauf sahen aus wie säuberlich gezogene Linien aus Kokain.
Aus dem Bauch des Flügels waren die Saiten herausgerissen.
»Polizei«, rief sie noch einmal. »Ich bin bewaffnet.«
In einem kurzen Flur hinter dem Wohnzimmer fand sie die Frau. Sie war jung, vielleicht neunzehn. Die Wurzeln ihrer gebleichten Haare waren dunkel, und ihre Haut war makellos. Ihre Zähne waren schief, aber weiß, ihre Hände rau und rot. Sie saß weinend auf dem Boden, und Taylor sah, dass sie auffallend blaue Augen hatte. »Er hat nichts getan. Mir fehlt nichts.« Nach ihrem Akzent zu urteilen, kam sie von der unteren Ostküste. Taylor war in ärmlichen Verhältnissen in den Sandbergen aufgewachsen und hatte ein Dutzend Mädchen wie sie gekannt: ungebildet und hübsch und verzweifelt auf der Suche nach einem besseren Ort.
»Können Sie aufstehen?« Taylor streckte die Hand aus. Die Dienstmädchenuniform der jungen Frau war an der rechten Schulter zerrissen, und an der Bluse waren Knöpfe abgeplatzt. Die eine Wange war glühend rot, und an den weichen Stellen ihres Oberarms leuchteten Fingermale. »Sind Sie allein?«
Das Mädchen antwortete nicht.
»Hat Ken Holloway das getan?«
Sie nickte. »Er hat mich Katherine genannt. Aber so heiße ich nicht.«
»Wie heißen Sie?«
»Janee. Mit zwei e.«
»Okay, Janee. Es wird alles gut, aber Sie müssen mir sagen, was hier passiert ist.« Taylor betrachtete die zerrissene Bluse, an der die Knöpfe fehlten. Ihre Stimme klang sanft. »Hat er Sie vergewaltigt?«
»Nein.«
Etwas an der Art, wie sie es sagte, war auffällig. Ein Zögern.
Leise Verschlagenheit. »Haben Sie ein Verhältnis mit Mr. Holloway?«
»Was meinen Sie?«
Taylor schwieg, und Janee nickte. »Manchmal. Er kann nett sein, wissen Sie. Und er ist
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