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Das letzte Kind

Das letzte Kind

Titel: Das letzte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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Alle hatten die gleiche Schwiele. »Ich hatte einen Mitbewohner auf dem College, einen Kletterer, der machte Klimmzüge mir den Fingerspitzen am Türrahmen. Manchmal hing er auch einfach nur da und schwatzte. Ziemlich abartig. Hier, fühlen Sie mal.«
    Dr. Moore hielt ihm die Hand hin, und Hunt betastete die Schwielen. Sie fühlten sich an wie Schuhleder. »Mein Zimmergenosse hatte genau solche Fingerspitzen.« Er deutete auf den Oberkörper. »Die Torsomuskulatur passt dazu. Überentwickelte Unterarme. Signifikante Vernarbungen an den Händen. Natürlich sind das nur Spekulationen. Offiziell kann ich erst etwas dazu sagen, wenn ich ihn auf dem Tisch habe.«
    Hunt betrachtete die Stellung der Hände. Sie lagen gekreuzt auf der Brust des Toten. Die Beine waren gestreckt nebeneinander. »Jemand hat ihn bewegt.«
    »Möglich. Mit Sicherheit können wir es erst nach der Obduktion sagen.« Hunt zog die Stirn kraus und deutete auf den Leichnam. »Sie glauben doch nicht, dass er in dieser Stellung hier gelandet ist, oder?«
    Der Arzt grinste und sah plötzlich aus wie ein Fünfundzwanzigjähriger. »War nur ein Scherz, Detective. Ich wollte locker bleiben.«
    »Na, bleiben Sie's nicht.« Hunt zeigte auf den zerschmetterten Arm, das verrenkte Bein. »Was glauben Sie — stammen diese Brüche von dem Zusammenstoß mit dem Wagen oder von dem Sturz von der Brücke?«
    »Wissen Sie genau, dass er auf der Brücke angefahren wunde?«
    »Sein Motorrad wurde eindeutig nach dem Zusammenstoß noch einmal bewegt. Jemand hat es eine Böschung hinuntergeschoben. Hat ein paar Äste abgebrochen und draufgeworfen. Irgendwann hätte es jemand gefunden. Wir haben Lackspuren an der Brücke gefunden, die zur Farbe des Benzintanks passen. Ich nehme an, die chemische Untersuchung wird es bestätigen. Und dann ist da der Junge. Er hat es gesehen.«
    »Ist er hier?«, fragte Dr. Moore.
    Hunt schüttelte den Kopf. »Ich hab ihn von einem Uniformierten nach Hause bringen lassen. Ihn und seine Mutter. Sie brauchen nicht hier zu sein.«
    »Er ist wie alt?«
    »Dreizehn.«
    »Verlässlich?«
    Hunt dachte darüber nach. »Ich weiß es nicht. Vielleicht. Er ist ein waches Bürschchen. Ein bisschen verkorkst, aber gescheit.«
    »Was sagt er zum Zeitpunkt?«
    »Er sagt, der Mann kam vor zwei, vielleicht zweieinhalb Stunden über die Brüstung.«
    Der Arzt rollte die Schultern. »Das passt. Noch keine Leichenblässe.« Er wandte sich wieder der Leiche zu, beugte sich tief über das Gesicht des Toten und zeigte auf das blutige Kreuz auf der Stirn. »So was sehe ich nicht oft.«
    »Und was halten Sie davon?«
    »Mein Gebiet sind Leichen, nicht Motive. Da ist auch Blut auf den Augenlidern. Vielleicht ein Fingerabdruck.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Nur so eine Ahnung. Die Größe stimmt, die Form auch.« Dr. Moore zuckte noch einmal die Achseln. »Wer immer ihn umgebracht hat — ich glaube nicht, dass er sehr clever ist.«
    Als Hunt aus dem Zelt kam, durchnässte der Regen seine Kleider und sein Haar. Er schaute zur Brücke hinauf und versuchte sich das Krachen des Metalls vorzustellen, den Mann, der im hohen Bogen herunterflog, und er dachte daran, wie es für den Jungen gewesen sein musste, den das Schicksal zum Zeugen erwählt hatte. Er beugte sich über Johnnys Fahrrad, das man beiseite geschoben hatte, um das Zelt aufzubauen. Es gab ein schmatzendes Geräusch, als er es aus dem Schlamm zog und aufrichtete. Braunes Wasser rann an dem narbigen Metallrahmen herunter. Hunt schob es unter die Brücke und ins Trockene. Ein paar Cops hatten sich dort untergestellt; einige rauchten, und nur einer sah wirklich beschäftigt aus. Cross. Er stand ein Stück abseits und hielt eine Taschenlampe in der einen Hand und Johnny Merrimons Karte in der anderen.
    Hunt ging zu ihm, immer noch wütend wegen der Brieftasche, aber Cross sprach als Erster. »Es tut mir leid«, sagte er, und es war ihm anzusehen, dass er es ehrlich meinte.
    Hunt dachte an das Jahr, das vergangen war, seit er Alyssa verloren hatte. An die Albträume, an die Vergeblichkeit. Es war nicht fair, das an Cross auszulassen. Er war noch ein Grünschnabel, und im Laufe der Zeit würde auch er seine schwarzen Nächte erleben. Hunt zwang sich zu einem Lächeln. Es war nicht viel, aber mehr hatte er nicht. »Wo haben Sie die gefunden?« Er zeigte auf die Karte.
    Cross hatte einen Bürstenhaarschnitt und ein kantiges Kinn. Er ließ die Karte sinken und richtete den Strahl der Lampe flussabwärts. »Sie lag

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