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Das letzte Kind

Das letzte Kind

Titel: Das letzte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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Warme Luft flutete in den Wagen. »Vergiss deine Handtasche nicht.«
    Johnny half ihr beim Aussteigen und drehte sich nach der schützenden Veranda um, als der Streifenwagen aus dem Schlamm zurücksetzte und die Reifen auf dem glatten Asphalt der Straße durchdrehten. Erst auf der Veranda merkte Johnny, dass seine Mutter nicht bei ihm war. Sie stand im Regen, das Gesicht zum Himmel erhoben, die Handflächen nach oben gedreht. Ihre Tasche lag im Matsch. Wasser fiel schwarz um sie herum.
    Johnny lief durch spritzende Pfützen zu ihr. Die Regentropfen schlugen ihm nach ihrem langen Fall schmerzhaft ins Gesicht.
    •Mom?« Er griff nach ihrem Arm. »Komm, lass uns ins Haus gehen.« Ohne die Augen zu öffnen, sagte sie etwas, aber ihre Stimme war so leise, dass er es nicht verstand. »Was?«, fragte er.
    »Ich will weggehen.«
    »Mom ...«
    »Ich will in der Erde versickern und gar nicht mehr hier sein.«
    Johnny hob ihre Handtasche auf und drückte ihren Arm. »Ins Haus. Sofort.« Er merkte, dass er sich anhörte wie Ken. Aber sie gehorchte. Drinnen brannten die Lampen schwefelgelb. Onkel Steve saß am Küchentisch vor einer Reihe Bierdosen. Ken ging auf und ab und hielt ein Glas Bourbon in seinen dicken Fingern. Sie blickten auf, als Johnny seine Mutter hereinführte. »Wurde auch Zeit«, sagte Ken. »Eine Unverschämtheit von diesem arroganten Cop mir zu sagen, ich könnte nicht mitkommen. Mir zu sagen, ich soll nach Hause fahren oder hier mit ihm warten.« Er deutete auf Onkel Steve, und seine Verachtung war unüberhörbar. Steve zog den Kopf zwischen die Schultern. »Ich werde mich beschweren. Er sollte wissen, wer ich bin.«
    »Er weiß, wer du bist. Aber es ist ihm egal.« Die Worte waren heraus, bevor Johnny wirklich darüber nachgedacht hatte. Ken hielt inne und starrte ihn an, und Johnny wusste, es gab jetzt zwei Möglichkeiten, wie es weitergehen würde. Doch dann trat seine Mutter hinter ihn. Ihr Blick war leer, und sie war völlig durchnässt. Die Kleider klebten ihr am Körper. Johnny nahm sie beim Arm. »Komm«, sagte er, »ich bringe dich in dein Zimmer.«
    »Ich übernehme das.« Ken kam auf sie zu, und Johnny spürte, dass etwas in ihm platzte. »Nein«, sagte er. »Lass es, Ken. Sie braucht dich jetzt nicht. Sie muss ins Bett. Sie braucht Schlaf und Ruhe, und sie braucht niemanden, der ihr blöd kommt.«
    Ken lief rot an. »Der ihr blöd kommt ...«
    Johnny dachte kurz an das Klappmesser in seiner Hosentasche. Er baute sich zwischen Ken und seiner Mutter auf. Der Augenblick zog sich in die Länge, bis Ken sich entschloss, seine ebenmäßigen, strahlenden Zähne in einem Lächeln zu entblößen. »Katherine ?« Er sah Johnnys Mutter an. »Sag deinem Sohn, es ist okay.«
    »Es ist okay, Johnny.« Die Worte kamen aus weiter Ferne. Sie schwankte leise und sagte dann: »Es geht mir gut.« Sie wandte sich ab und schlurfte hinaus in den kurzen, unbeleuchteten Flur. »Gehen wir einfach ins Bett.« Sie legte die Hand an die Wand, blieb drei lange Sekunden so stehen, und Johnny sah, wie ihr das Wasser über das Gesicht lief. Als sie sich umdrehte, war von ihrer Stimme nichts mehr übrig. »Fahr nach Hause, Steve.«
    Ken folgte ihr bis zum Ende des Flurs, sah sich einmal um und schloss dann die Zimmertür. Johnny hörte nicht, wie der Riegel vorgeschoben wurde, doch er wusste, dass es geschah. Am liebsten hätte er mit der Faust gegen die Wand geschlagen, aber stattdessen sah er Onkel Steve an, der stumm seine Dosen einsammelte, sie in den Mülleimer warf und seinen Schlüsselbund vom Tisch nahm, ein riesiges Bündel von Schlüsseln, mit denen er jede Tür in der Mall öffnen konnte. Eine paradiesische Vorstellung für jeden anderen Jungen. Ein Haufen Metall für Johnny. Onkel Steve blieb in der Tür stehen. Sein Blick war besorgt, und er schien Johnny mit anderen Augen anzusehen. Er legte den Arm an den Türrahmen. »So läuft das hier?«, fragte er, und die Bewegung seiner flachen Hand umfasste Johnny und den kurzen Gang bis zu der verschlossenen Zimmertür.
    »Meistens.«
    »Verdammt.« Onkel Steve nickte, und Johnny dachte, das war ungefähr alles, was ihm je einfiel. »Wegen heute Morgen ...«
    »Was ist damit?«
    »Sie ist nur sehr hübsch.« Johnny wandte sich ab. »Danke, dass du nichts gesagt hast.«
    Aber auch von Johnny war nichts mehr übrig. Er ging in sein Zimmer und setzte sich auf die Bettkante. Er schaute den Wecker auf dem Nachttisch an und sah zu, wie der kleine Sekundenzeiger von einem weißen

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