Das letzte Kind
der Brücke geschleudert.«
»Vielleicht hat er einen Führerschein aus einem anderen Staat. Vielleicht ist es ihm auch scheißegal.«
»Was wissen wir sonst noch?«, fragte Hunt. Yoakum blätterte in seinen Unterlagen. »Er ist vor ein paar Jahren auf dem Radar erschienen. Davor nichts. Keine Festnahmen. Kein Bankverkehr. Kein Strom- oder Wasseranschluss, kein Telefon. Der Kerl war ein Geist. Wahrscheinlich ist er aus einem anderen Bezirk zugezogen. Seitdem haben wir ein paar Festnahmen verzeichnet und auch ein paar Verurteilungen. Er hat gesessen, aber es war nichts Ernstes. Einen Monat hier. Zwei Monate da. Aber jetzt passen Sie auf: Vor einer Woche hat er sich von einer Arbeitskolonne abgesetzt.«
»Er ist ein entlaufener Strafgefangener? Warum hab ich davon nichts erfahren?«
»Es stand letzte Woche in der Zeitung, allerdings vergraben auf Seite neun. Er hat geringe Priorität. Nicht gewalttätig. Er wurde nicht als gefährlich betrachtet. Außerdem ist das ein Problem des Countys.«
»Was war das für eine Arbeitskolonne?«
»Minimale Bewachung. Straßenarbeiten auf einer zweispurigen Landstraße. Müll auflesen. Unkraut zurückschneiden. Er ist einfach in den Wald spaziert.«
»Unglaublich.«
Yoakum lächelte. Seine Zähne waren so glatt und weiß, dass sie wie lackiert aussahen. »Sind Sie bereit für den Knaller?«
»Nämlich?«
»Er hat gesessen, ja. Immer mal wieder. Na, und jetzt passen Sie auf. Drei Tage vor Alyssa Merrimons Entführung wurde er mal wieder aus dem Knast entlassen.« Hunt war plötzlich aufgeregt. »Machen Sie keine Witze, Yoakum.«
»Wir haben eine Adresse. Hier am Ort.«
»Was ist mit einem Haftbefehle?«
»Ich hab Cross losgeschickt, damit er den Richter aus dem Bett holt.«
»Und hat der Richter schon unterschrieben?«
»Das wird er.«
»Sind Sie sicher?«
»Das Mädchen ist weiß. Die Eltern sind reich.« Yoakum zuckte die Achseln. »Ist nur eine Frage der Zeit.«
Hunt sah sich im Raum um und nahm die Gesichter in sich auf. »Kommen Sie, Yoakum. So was dürfen Sie nicht sagen. Wir haben darüber geredet.«
Yoakum rollte die Schultern, und seine Stimme klang jetzt überraschend hart. »Die Welt ist, wie sie ist. Ungerecht, tragisch und schändlich. Machen Sie nicht mich dafür verantwortlich.«
»Eines Tages wird Ihr Mundwerk Sie in Schwierigkeiten bringen. Also behalten Sie diesen Quatsch für sich.« Yoakum ließ eine Kaugummiblase platzen und schaute weg.
Hunt sah sich die Informationen an, die sie hatten. Levi Freemantle wohnte in der Huron Street mit Ronda Jeffries, einer zweiunddreißigjährigen Weißen. Hunt gab ihren Namen in den Computer ein. Zwei Festnahmen wegen Anbietens sexueller Dienstleistungen. Keine Verurteilung. Eine Verhaftung wegen Rauschgiftbesitzes. Verurteilt zu achtzehn Monaten Haft, davon wegen guter Führung nur sieben abgesessen. Eine Verurteilung wegen anstößigen Verhaltens in der Öffentlichkeit. Einfache Körperverletzung. »Ronda Jeffries«, sagte Hunt. »In welcher Beziehung steht sie zu Freemantle?«
»Gemeinsame Adresse — mehr wissen wir nicht. Vielleicht Wohnungsgenossen. Vielleicht mehr.«
Hunt studierte die Liste der Festnahmen Levi Freemantles. Sie sah unvollständig aus. »Das ist lauter Pipifax. Unbefugtes Betreten. Unberechtigtes Verweilen. Ladendiebstahl, um Himmels willen. Nichts Gewalttätiges. Kein Sex.«
»Es ist das, was es ist.«
Das Strafregister sah aus wie hundert andere, so belanglos, dass Hunt das Gefühl hatte, den Kerl zu kennen, wie er Tausende kannte. Aber eins fünfundneunzig und hundertfünfzig Kilo — das vergaß man nicht so leicht. Noch einmal überprüfte er die Daten und fand bestätigt, dass Levi Freemantle drei Tage vor Alyssa Merrimons Entführung aus dem Gefängnis entlassen worden war. Und eine Woche vor Tiffany Shores Verschwinden hatte er sich von einer Sträflingskolonne abgesetzt. Wenn das Zufall war, dann war es ein großer Zufall. Und da war auch noch der ermordete David Wilson, der behauptet hatte, er habe das entführte Mädchen gefunden. Freemantles Fingerabdruck war an der Leiche. Johnnys Personenbeschreibung passte. Auch das Timing. Die Flussbiegung.
Hunt legte die Unterlagen auf den Tisch. »Rufen Sie Cross an. Stellen Sie fest, wie weit wir sind.«
»Er weiß, was er zu tun hat.«
»Rufen Sie ihn an, John.«
Yoakum wählte Cross' Handynummer und fragte, wie lange es mit dem Haftbefehl noch dauern werde. Danach klang seine Stimme ausdruckslos. »Er sagt, er weiß es
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