Das letzte Koenigreich
Öffnung in der Sandbank. Jenseits dieser Öffnung lag eine Welt aus Sümpfen, Wasserläufen, Inseln und Fischgehegen, ganz ähnlich wie im Gewaesc vor der Küste Ostangliens. Wir hatten einen Mann an Bord, der hier aufgewachsen war und uns führen konnte. Die Dänen hatten niemanden dergleichen. Sie hatten sich von einer Reihe langer Weidenruten im Sand fehlleiten lassen, die eine Fahrrinne markierten, bei Ebbe aber umgesteckt worden waren, um den Feind auf die Schlickbank zu locken, auf der er jetzt festsaß.
Für uns war es ein gefundenes Fressen. Sie saßen in der Falle wie Füchse in einem Bau mit nur einem Ausgang. Wir hätten nichts weiter tun müssen, als vor diesem Ausgang zu ankern und zu warten, bis uns das Dänenschiff von der Strömung zugespült wurde. Alfred aber hatte es eilig. Er wollte so schnell wie möglich zu seinen Fußtruppen zurück und bestand darauf, dass wir ihn noch vor Sonnenuntergang in Hamtun absetzten. Also griffen wir entgegen Leofrics ausdrücklichen Rat unverzüglich an.
Auch das war uns nur recht. Allerdings konnten wir nicht direkt auf die Schlickbank zusteuern, denn der Wasserlauf war zu schmal. Wir hätten nacheinander vorrücken müssen, und unser erstes Schiff hätte sieben dänische Schiffe vor sich gehabt. Deshalb konnten wir sie nur über einen langen Umweg von der anderen Seite her angreifen, was den Nachteil hatte, dass sie durch die Öffnung würden fliehen können, sobald die Flut sie frei geschwemmt hätte. Und genau damit war zu rechnen. Leofric machte aus seiner Verärgerung über Alfred keinen Hehl und brummte in seinen Bart.
Alfred war von den Schiffen des Feindes gebannt, die er noch nie so nah vor Augen gehabt hatte. «Stellen diese Bestien ihre Götter dar?», fragte er mich und deutete auf die geschnitzten Drachen- und Schlangenköpfe.
«Nein, Herr, die sollen nur Angst und Schrecken verbreiten», antwortete ich. Ich hatte das Ruder dem Mann überlassen, der diese Küste kannte, und erklärte dem König, dass die Dänen diese Tierköpfe abnahmen, wenn sie in heimischen Gewässern segelten, weil sie die guten Geister dort nicht vertreiben wollten.
«Notiere das», befahl Alfred einem der Mönche. «Und diese Wimpel auf den Masten?», fragte er mit einem Blick auf das am nächsten liegende Schiff, auf dessen Wetterfahne ein Adler abgebildet war. «Sollen die ebenfalls Angst machen?»
Ich antwortete nicht. Mir hatte es die Sprache verschlagen, als ich unter den sieben Schiffen, die im Schlick feststeckten, eines wieder erkannte. Die Windviper. Der hell bemalte Plankengang im Bug fiel sofort ins Auge, aber ich hätte sie ohnehin sofort erkannt. Die Windviper, dieses prächtige Schiff, hier vor Heilincigae.
«Uhtred?» Alfred verlangte nach einer Antwort.
«Das sind bloß Wetterfahnen, Herr.» Wenn die Windviper hier war, war dann auch Ragnar hier? Oder hatte sich Kjartan die Windviper genommen und einem Schiffsmeister unterstellt?
«Ziemlich aufwendig, wie die ihre Schiffe herausputzen», meinte Alfred.
«Die Dänen lieben ihre Schiffe», sagte ich. «Und kämpfen um sie. Man sollte ehren, worum man kämpft, Herr. Es wäre gut, wenn auch wir unsere Schiffe mit Tierköpfen verzierten.» Außerdem fand ich, dass unsere Schiffe passendere Namen haben sollten, wie zum Beispiel Blutvergießer, Seewolf oder Witwenmacher. Stattdessen führte die Heahengel ihre Geleitschiffe Ceruphin und Cristenlic zur Seeschlacht. Uns folgten die Apostol und die Eftwyrd, was Jüngstes Gericht bedeutet. Das war immerhin ein halbwegs angemessener Name, denn sie, die Eftwyrd, schickte etliche Dänen in die Verdammung auf den Meeresgrund.
Die Dänen hatten sich darangemacht, ihre gestrandeten Schiffe freizuschaufeln, doch als wir näher kamen, sahen sie ein, dass dieser Kraftakt vergebens war, und kehrten an Bord zurück, um sich zu rüsten und zu den Waffen zu greifen. Auch ich legte mein Kettenhemd an, dessen Lederfutter nach abgestandenem Schweiß stank, setzte den Helm auf und gürtete das Langschwert auf den Rücken und meinen Wespenstachel an die Seite. Wir würden nicht Bordwand an Bordwand, sondern auf schlammigem Grund im Schildwall kämpfen. Die Dänen waren im Vorteil, weil sie vor uns, die wir aus den Schiffen steigen mussten, in Stellung gehen konnten. Dieser Umstand benagte mir genauso wenig wie Leofric, der vor Wut kochte. Alfred aber setzte sich in aller Gelassenheit den Helm auf und sagte: «Gott sei mit uns.»
«Den Beistand haben wir auch bitter nötig»,
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