Das letzte Koenigreich
Trotzdem hatte sich Aldermann Odda mit seinen Kämpfern in dieser Festung verschanzt, und hier würde er sterben, wenn es ihm nicht gelang, Ubba zu schlagen, dessen Schiffe bereits in der Mündung des Flusses aufgetaucht waren.
Statt sofort die Festung aufzusuchen, zog ich mich in einen Hain zurück und verwandelte mich in Aldermann Uhtred mit voller Kampfrüstung. Ich zog das Kettenhemd an, das die Knechte von Oxton mit Sand auf Hochglanz gebürstet hatten, gürtete mein Ledergehänge für Schlangenhauch und Wespenstachel, stieg in hohe Stiefel, setzte den glänzenden Helm auf und hängte mir den mit einem Eisenbuckel verstärkten Schild über die Schulter. Als alle Riemen festgezogen und alle Schnallen geschlossen waren, fühlte ich mich wie ein Gott, der in den Krieg zieht. Auch meine Männer rüsteten sich, schnürten ihre Stiefel und prüften die Schärfe ihrer Waffen. Selbst Pater Willibald bereitete sich auf den Kampf vor und schnitt aus einem schweren Eschenast einen Knüppel, der durchaus geeignet war, den Schädel eines Mannes zu zertrümmern. «Ihr müsst nicht kämpfen, Pater», sagte ich.
«Wir müssen jetzt alle kämpfen, Herr», entgegnete er und trat einen Schritt zurück, um mich zu betrachten. «Ihr seid erwachsen geworden, Herr», sagte er.
«Das bleibt wohl nicht aus, Pater», erwiderte ich.
«Ich erinnere mich an unsere erste Begegnung. Da wart Ihr noch ein Kind. Jetzt furchte ich Euch.»
«Wollen wir hoffen, dass der Feind mich fürchtet», sagte ich und war mir in diesem Augenblick nicht sicher, welchen Feind ich meinte: Odda oder Ubba. Ich hätte gern das Banner von Bebbanburg bei mir gehabt, den zähnefletschenden Wolfskopf, aber immerhin hatte ich meine Waffen und meinen Schild. Zum Kampf bereit, führte ich meine Männer aus dem Wald und auf die Felder hinaus, wo der Fyrd aus Defnascir den Angriff des Feindes erwartete.
Die Dänen waren noch gut eine Meile entfernt. Sie rückten links von uns auf der Küstenstraße vor und beeilten sich, den Festungshügel Cynuit einzukreisen. Doch sie kamen zu spät, um uns den Weg abzuschneiden. Zu unserer Rechten näherten sich weitere Dänen, die mit ihren Drachenschiffen den Pedredan heraufruderten.
«Die sind uns weit überlegen», sagte Willibald.
«So ist es», pflichtete ich ihm bei. Schwäne glitten über den Fluss, auf den Wiesen schlugen Wachteln, und am Rand des Weges blühten purpurrote Orchideen. Es war die Zeit, in der die Bauern das Gras schnitten und die Schafe Schoren. Ich zögerte und dachte, dass ich nicht hier zu sein brauchte, dass es nicht nötig sei, auf den Hügel zu steigen, um mich dort von den Dänen töten zu lassen. Ich blickte in die Runde meiner Männer und fragte mich, ob ihnen wohl Ähnliches durch den Kopf ging. Als ich aber ihren Blicken begegnete und sie grinsen oder mit dem Kopf nicken sah, wurde mir mit einem Mal bewusst, dass sie mir vertrauten. Ich führte sie an, und sie folgten, ohne zu fragen. Dabei wusste zumindest Leofric sehr wohl um die Gefahr.
«Von diesem Hügel herunter gibt es nur einen Weg», flüsterte er mir zu. «Ich weiß.»
«Und wenn wir uns den nicht freikämpfen können, bleiben wir dort. Begraben.»
«Ich weiß», wiederholte ich und dachte an die Spinnerinnen und spürte, wie sie an den Fäden zogen. Den Blick auf die Kuppe des Cynuit gerichtet, entdeckte ich mehrere Frauen, die, von Männern geschützt, vor dem Wall standen. Vielleicht, so dachte ich, war Mildrith unter ihnen, und darum stieg ich hinauf. Ich wusste nicht, wo ich sie sonst hätte suchen sollen.
Die Spinnerinnen hatten mich jedoch aus einem anderen Grund in diese alte, aus Erde aufgeworfene Festung geschickt. Ich sollte noch in einem großen Schildwall zu kämpfen haben, in vorderster Reihe den Aufruhr und den Schrecken einer Schlacht erleben, in der jeder getötete Gegner durch zwei weitere ersetzt wird. Auf dem Hügel von Cynuit sollte ich meine Männlichkeit unter Beweis stellen, und ich bestieg ihn, weil ich keine Wahl hatte. Die Nornen wollten es so.
Unversehens ertönte aus der Ferne lautes Brüllen, und ich sah, wie über einem der Schiffe an den Ufern der Pedredan ein Banner gehisst wurde. Es war das Rabenbanner. Ubbas Banner. Ubba, der letzte, mächtigste und gefährlichste Sohn Lothbroks, hatte seine Männer vor den Hügel geführt. «Seht Ihr?», fragte ich Willibald und deutete auf das im Wind flatternde Banner. «Vor zehn Jahren habe ich an diesem Schiff gearbeitet», sagte ich. «Ich habe seinen Rumpf
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