Das letzte Koenigreich
Festungshügel Cynuit. Ich hätte nicht kommen müssen. Aber nun war ich da. Weil niemand seinem Schicksal entkommt.
ELF
Aldermann Odda wollte nicht angreifen. Er wollte bleiben, wo er war, und Ubba zur Belagerung der Festung verleiten. Das, so glaubte er, würde reichen. «So binden wir ihre Kräfte», erklärte er, «und Alfed kann vorrücken und sie angreifen.»
«Alfred belagert Exanceaster», wandte ich ein.
«Er wird ein paar Männer zurücklassen, die Guthrum im Auge behalten, und hierher kommen.» Es gefiel ihm nicht, sich mit mir unterhalten zu müssen, aber ich war nun einmal ein Aldermann, und er konnte mich nicht ausschließen. Ich gehörte ebenso zu seinem Kriegsrat wie sein Sohn, die Priester und all die Thegn, die ich mit meinen Bemerkungen merklich verunsicherte. Ich war davon überzeugt, dass uns Alfred nicht zu Hilfe kommen würde, doch Aldermann Odda rechnete fest damit, und darum weigerte er sich, den Hügel zu verlassen. Seine Thegn - allesamt kräftige Männer mit Kettenhemden und grimmigen, von Wind und Wetter gegerbten Gesichtern - pflichteten ihm bei. Einer meinte, dass die Frauen beschützt werden müssten.
«Die Frauen sollten gar nicht hier sein», sagte ich.
«Aber das sind sie nun einmal», entgegnete der Mann geradeheraus. An die hundert Frauen waren ihren Männern auf den Hügel gefolgt, auf dem es für sie und ihre Kinder keinen Unterschlupf gab.
«Selbst wenn Alfred tatsächlich kommt», fragte ich, «wie lange wird er wohl brauchen?»
«Zwei Tage?», schätzte Odda. «Drei?»
«Und womit sollen wir in der Zwischenzeit unseren Durst löschen?», fragte ich. «Mit Vogelpisse?»
Sie starrten mich verächtlich an. Sie hassten mich, mussten mir aber Recht geben, denn auf dem Cynuit gab es keine Quelle. Wasser war nur aus dem Fluss zu beschaffen, und zwischen uns und dem Fluss standen die Dänen. Odda wusste sehr wohl, dass wir Durst leiden würden, bestand aber trotzdem darauf, dass wir blieben. Vielleicht beteten seine Priester um ein Wunder.
Vorsichtig verhielten sich auch die Dänen. Sie waren uns zahlenmäßig nur knapp überlegen und hatten den Nachteil, auf den steilen Hängen des Cynuit hügelan kämpfen zu müssen. Darum sah Ubba von einem Angriff ab und ließ stattdessen den Hügel einkreisen. Die Dänen hüteten sich vor Verlusten. Ich erinnerte mich an Ubbas zögerliche Haltung, als es darum ging, Edmunds Truppen auf der Anhöhe über den Sümpfen des Gewaesc anzugreifen. Vielleicht wurde er auch diesmal wieder von Storri, dem Zauberer, gewarnt, falls Storri noch lebte. Wie dem auch sei, statt die alte Festung mit einem vorrückenden Schildwall zu stürmen, ließ Ubba seine Kämpfer rings um den Hügel Stellung beziehen und bestieg dann selbst, von fünf Schiffsmeistern begleitet, den Hügel. Er trug weder Schwert noch Schild und machte so deutlich, dass er verhandeln wollte.
Aldermann Odda, sein Sohn, zwei Thegn und drei Priester gingen ihm entgegen, und ich nahm mir als Aldermann das Recht, ihnen zu folgen. Odda warf mir einen bösen Blick zu, konnte mich jedoch nicht zurückweisen. So trafen wir uns auf halber Höhe mit Ubba, der sich weder mit einer Begrüßung noch mit den üblichen Beschimpfungen aufhielt, sondern uns gleich darauf aufmerksam machte, dass wir in der Falle saßen und gut beraten wären, uns zu ergeben. «Ihr gebt Eure Waffen ab», sagte er. «Ich nehme ein paar Geiseln und lasse Euch am Leben.»
Einer von Oddas Priestern übersetzte. Ich musterte Ubba. Er war gealtert, und in seinem struppigen, schwarzen Bart zeigten sich erste graue Strähnen. Mit seiner breiten Brust und den harten Gesichtszügen wirkte er aber nach wie vor einschüchternd.
Und diese Wirkung erzielte er nun auch bei Aldermann Odda, zumal diesem bekannt war, dass der dänische Kriegsherr viele große Schlachten für sich entschieden hatte. Diesem Mann stand Odda nun gegenüber. Er gab sich Mühe, herausfordernd zu klingen, und entgegnete, dass er die Stellung halten und auf den einen, wahren Gott vertrauen werde.
«Dann werde ich Euch töten», sagte Ubba.
«Ihr könnt es versuchen», erwiderte Odda.
Ubba spuckte vor ihm aus. Er wollte sich gerade abwenden, aber ich hielt ihn auf und sagte auf Dänisch: «Guthrums Flotte ist gesunken, Ubba Lothbrokson. Njorö hat seine Schiffe auf den Grund des Meeres gezogen, und all die tapferen Männer, die an Bord waren, sind jetzt bei Ran und Agir.» Ran war die Frau des Meeresgottes und Agir der Riese, der die Seelen der
Weitere Kostenlose Bücher