Das letzte Koenigreich
nicht. Aber was glaubst du, wie er auf diejenigen wirkt, die ihn zum Feind haben? Würdest du gern gegen Graf Ragnar den Furchtlosen im Schildwall stehen?»
«Nein.»
«Also macht er Angst», sagte er und grinste. «Geht nach Wessex und unterwerft das Königreich. Sucht Land, auf dem ich mich mästen kann.»
Als das Dach gedeckt war, wurde ich in den Wald geschickt, denn Ealdwulfs Hunger nach Holzkohle, mit der er seine Esse schürte, war unersättlich. Er hatte Ragnars Männern gezeigt, wie sich Holzkohle gewinnen ließ, doch Brida und ich waren seine besten Köhler, und so verbrachten wir viel Zeit im Gehölz. Die Meiler mussten ständig beaufsichtigt werden, sie brannten mindestens drei Tage lang. Brida und ich wachten darüber und beobachteten den Rauch, der aus der Abdeckung aus Farnkraut und Torf aufstieg, denn er verriet, ob die Glut im Inneren die richtige Temperatur hatte. Wurde sie allzu heiß, kletterten wir über den warmen Haufen, um die Luftlöcher in der Hülle mit Erde auszustopfen, damit die Glut wieder ein wenig abkühlte.
Gewöhnlich verarbeiteten wir Erlenholz, denn das war, was Ealdwulf bevorzugte. Es kam darauf an, die Scheite verkohlen und nicht verbrennen zu lassen. Vom Gewicht des frischen Holzes blieb am Ende nur ein Viertel übrig, der Rest wurde zu Rauch. Einen Meiler aufzubauen konnte bis zu einer Woche dauern. In einer flachen Mulde stapelten wir das Erlenholz sorgfältig zu einem hohen Berg, dessen Kern aus zuvor gewonnener Holzkohle bestand. Diesen Berg bedeckten wir zunächst mit Farnkraut und dann mit einer dicken Torfschicht, steckten anschließend den Kern durch eine Öffnung in der Mitte in Brand und verstopften die Öffnung. Nun musste die Glut im Innern kontrolliert werden. Dazu stießen wir Löcher in den Fuß des Meilers und ließen Luft eindringen. Sooft der Wind drehte, mussten diese Löcher geschlossen und andere geöffnet werden. Es war schwere Arbeit, aber wir hatten Gefallen daran. Wenn wir nachts im Dunkeln neben dem warmen Meiler lagen, fühlten wir uns wie Sceadugengans, und außerdem verband Brida und mich inzwischen mehr als Freundschaft.
Neben einem rauchenden Meiler verlor sie ihr erstes Kind. Von ihrer Schwangerschaft hatte sie nicht einmal etwas gewusst. Eines Nachts wurde sie plötzlich von Krämpfen und so heftigen Schmerzen ergriffen, dass ich loslaufen und Sigrid zu Hilfe holen wollte. Doch Brida ließ mich nicht gehen und behauptete zu wissen, was ihr geschehe. Hilflos musste ich mit ansehen, wie sie sich quälte, und fürchtete das Schlimmste, und noch bevor es hell wurde, brachte sie einen toten Sohn zur Welt. Wir begruben ihn mitsamt der Nachgeburt und kehrten erschöpft nach Hause zurück. Sigrid erschrak beim Anblick Bridas. Sie gab ihr eine Brühe aus Lauch und Schafshirn zu essen und behielt sie im Haus. Offenbar ahnte Sigrid, was geschehen war, denn sie war mir gegenüber tagelang ungehalten und sagte zu Ragnar, es sei an der Zeit, dass Brida heirate. Mit ihren dreizehn Jahren war sie alt genug, und in Synningthwait gab es etliche junge Dänen, die nach einer Frau suchten.
Doch Ragnar erklärte, dass Brida seinen Kriegern Glück bringe, und wollte sie auf den Feldzug gegen Wessex mitnehmen.
«Und wann wird das sein?», fragte Sigrid. «Nächstes Jahr», antwortete er, «oder im Jahr darauf. Spätestens.» «Und dann?»
«Dann sind wir die Herren über ganz England», antwortete Ragnar. Dann wäre das letzte der vier Königreiche an die Dänen gefallen und alle Bewohner wären entweder dänisch, versklavt oder tot.
Während des Julfestes, das wir ausgiebig feierten, ging Ragnar der Jüngere aus allen Wettbewerben als Sieger hervor. Er schleuderte die Felsbrocken am weitesten, rang jeden Gegner nieder, und es gelang ihm sogar, seinen Vater unter den Tisch zu trinken. Es folgten die dunklen Monate, ein langer Winter, und als im Frühjahr die Stürme nachließen, musste Ragnar der Jüngere wieder zurück nach Irland. Mit einem eher traurigen Fest nahmen wir Abschied. Am Morgen danach brach er mit seinen Männern bei grauem Regen auf. Ragnar schaute seinem durch das Tal abziehenden Sohn nach, bis er außer Sicht war, und als er in das neu erbaute Haus zurückkehrte, standen Tränen in seinen Augen. «Er ist ein guter Mann», sagte er mir.
«Er gefällt mir», erwiderte ich, und so empfand ich noch, als ich ihm viele Jahre später wieder begegnete.
Ragnar der Jüngere hatte mit seiner Abreise eine Lücke hinterlassen, dennoch ist mir der
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