Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
hatte einen neuen Beiklang, eine Anspannung, die sie jünger wirken ließ. »Oder ob sie, was das angeht, Arbeit genug abbekommen. Was wollen Sie eigentlich von mir?«
Silje griff zu ihrer leeren Tasse und drehte sie zwischen ihren Händen hin und her. In der Küche gurgelte die Kaffeemaschine wie besessen, und aus der Wohnung unter ihnen war ganz leise »O, helga natt« zu hören. »Jussi Björling«, sagte sie leise.
»Sie wollen über Jussi Björling reden?«
Ohne auf Antwort zu warten, verschwand Idun wieder in der Küche.
»Hier herrscht ja nicht gerade Weihnachtsstimmung«, flüsterte Silje. »Bei uns ist es ja auch manchmal unordentlich, aber nicht so …« Sie strich mit einem Finger über den Couchtisch. »… schmutzig!«
Drei Wände im Wohnzimmer waren von oben bis unten und von einer Seite zur anderen mit Bücherregalen bedeckt. Trotzdem hatten die Bücher nicht genug Platz; vor der Tür zu dem kleinen Balkon ragten drei hohe Stapel auf.
»Bücher machen Staub«, sagte Hanne und zuckte mit den Schultern; sie dachte mit Schrecken daran, wie ihre Wohnung ausgesehen hatte, als Nefis am Freitagabend gekommen war.
»Hier«, sagte Idun Franck und schenkte ein. »Milch habe ich leider nicht, wie gesagt. Zucker?«
Sie entfernte den Zeitungsstapel und setzte sich.
»Sie haben viele Bücher, wie ich sehe«, sagte Hanne und schaute sich lächelnd im Zimmer um. »Haben Sie auch wertvolle?«
»Sie meinen, rein literarisch? Ja, unbedingt.«
Idun lächelte schwach und machte mit der rechten Hand eine bedauernde Geste.
»Tut mir leid. Nein, ich habe vielleicht einige wenige Exemplare, die auf einer Auktion ein paar Tausender einbringen könnten, aber das ist auch alles.«
Hanne kam ein Stück vom Sofa hoch und zog einen gelben Zettel aus der Hosentasche.
»Gibt es in Ihrer Familie jemanden, der Bücher sammelt? Ich meine, wirklich wertvolle Bücher. Antiquarische.«
Idun Franck schien das alles nicht so recht zu begreifen. Ihre Miene zeigte aufrichtige Verwunderung, etwas ganz anderes als den angestrengt wachsamen Blick, mit dem sie ihre Besucherinnen empfangen hatte.
»Mein Vater«, sagte sie vorsichtig. »Er hatte eine sehr wertvolle Sammlung. Wir wissen nicht ganz genau, wie wertvoll sie war, aber etliche hunderttausend würde sie bestimmt einbringen. Wenn nicht noch mehr. Jetzt hat Daniel, mein Neffe …«
Sie hielt den Rest dieses Satzes zurück, indem sie sich energisch in die Unterlippe biß. Über dem Ausschnitt ihres Pullovers breitete sich eine schwache Röte aus.
»Über Daniel wollen wir mit Ihnen reden«, sagte Hanne gelassen und lächelte.
»Über Daniel? Daniel?« Idun umklammerte ihre Tasse, hob sie aber nicht an den Mund. »Ist Daniel etwas passiert? Wo ist er? Ist er …« Ihr standen Tränen in den Augen, und ihre Lippen zitterten.
»Ganz ruhig, bitte«, sagte Hanne und hielt diese Tante für eine ungeheure Glucke. »Daniel ist kerngesund.«
Silje zog zwei durchsichtige Plastiktüten mit der Aufschrift »Beschlagnahmung 1« und »Beschlagnahmung 2« aus ihrer riesigen Tasche.
»Haben die Ihrem Vater gehört?« fragte Hanne, während Silje die beiden Bücher ordentlich nebeneinander auf den Tisch legte, wie um sie einer nicht gerade eifrigen Käuferin aufzuschwatzen.
Idun Franck warf einen kurzen Blick auf die Tüten.
»Davon bin ich überzeugt. Darf ich die Tüten aufmachen?«
Hanne nickte, und Silje zog die Bücher aus den Tüten und hielt sie Idun hin.
»Der Hamsun-Band hat eine ganz besondere Vorgeschichte«, sagte die. »Mein Vater war Anwalt beim Obersten Gericht. Bei den Prozessen gegen die Landesverräter hat er Justizminister Riisnæs verteidigt. Der Mann war total verrückt und wurde deshalb für strafunfähig befunden. Soviel ich weiß, hat er bis Ende der siebziger Jahre in einer Anstalt gesessen. Dieses Buch hat er meinem Vater im Jahre 1946 gegeben. Wie er selbst in seinen Besitz gelangt war, haben wir nie erfahren. Daß es wertvoll ist, haben wir nie bezweifelt. Mein Vater war zunächst unsicher, ob er es behalten sollte. Es konnte immerhin gestohlen sein. Aber …« Sie zuckte mit den Schultern. »Das ist alles so lange her. Das hier …« Vorsichtig öffnete sie »Fahrt über das Polarmeer«, »… das hat mein Vater gekauft, als ich noch klein war. Auch das ist lange her. Inzwischen.«
Sie lächelte zaghaft, und ihre Schultern hatten sich ein wenig gesenkt. Sie wirkte erleichtert, wagte aber nicht, das offen zu zeigen.
»Dann ist doch alles in
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