Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
fallen, dann fiel ihr ein, daß sie ja einen Aschenbecher geholt hatte. Ohne darauf zu achten, daß Silje sich unter den Schreibtisch bückte, fischte sie die schriftliche Fassung des Gesprächs mit Idun Franck hervor und zertrat die Kippe auf dem Linoleumboden.
»Diese Franck ist meiner Ansicht nach eine der wichtigsten Zeuginnen, die wir in diesem Fall haben. Sie hat sich über einen Zeitraum von mehreren Monaten ausgiebig mit dem Verstorbenen unterhalten und besitzt Notizen, Tonbandaufnahmen und Gott weiß, was noch alles. Aber dann hustet sie diesen Quatsch über Quellenschutz heraus. Billy T. interessiert sich offenbar seit neuestem gewaltig für Jura. Sein Bericht sieht doch vor allem aus wie eine juristische Abhandlung. Er läßt die Frau über den Paragraphen hundertfünfundzwanzig des Strafgesetzbuches und das Aussageverweigerungsrecht drauflosplappern, blabla. Es kommt mir ein bißchen seltsam vor, daß eine Verlagslektorin, die sich doch vor allem mit Sprache und Literatur befaßt, auf die Europäische Menschenrechtskonvention verweist …«
Hanne schnalzte mit der Zunge, schüttelte den Kopf und ließ ihren Finger über den Bogen wandern.
»Hier. Artikel zehn. Woher weiß sie das alles? Polizeijuristin Skar zerbricht sich noch immer den Kopf, um sich durch diesen juristischen Brei hindurchzufressen, und sie ist immerhin Juristin. Idun Franck konnte doch nicht wissen … außergewöhnliche Kenntnisse für eine Verlagslektorin, ich muß schon sagen. Und hier …« Hanne fischte noch eine Zigarette hervor, zündete sie aber nicht an. »Warum hat er nicht gefragt, wie in diesem Verlag gearbeitet wird? Ob noch andere dort mit Brede Kontakt hatten? Offenbar sind im Restaurant sehr viele Bilder gemacht worden, aber Billy T. hat nicht gefragt, von wem denn eigentlich. Solche Auskünfte können ja wohl nicht unter diesen … Quellenschutz fallen. Außerdem:Warum ist die Frau noch nicht zu einer offiziellen Vernehmung bestellt worden?« Sie tippte mit der Zigarette auf die Tischplatte.»Klinge ich jetzt wie eine Lehrerin?« fragte sie und lächelte.
Silje schüttelte den Kopf und schien etwas fragen zu wollen. Doch dann klappte sie ihren Mund hörbar wieder zu.
»Und hier«, fuhr Hanne fort und öffnete einen braunen Briefumschlag. Sie zog drei A4-Bögen hervor. »Das sind Kopien von Drohbriefen, die Brede Ziegler bekommen hat. Sie lagen, zusammen mit einer Anzeige, gestern irgendwo in der blauen Zone. Gestern! Fünf Tage nach dem Mord! Und dann stellt sich heraus, daß vor weniger als zwei Monaten in Se & Hør ausgiebig darüber berichtet worden ist. Hält sich denn in diesem Haus keiner mehr auf dem laufenden?«
Sie schwenkte die Klatschzeitung, in der ein tiefbesorgter Brede Ziegler unter der Schlagzeile Immer neue Morddrohungen die halbe Titelseite einnahm.
»Wir lesen hier nicht gerade regelmäßig Se & Hør.«
Silje Sørensen spielte mit ihren dunklen Haaren und beugte sich über den Tisch, um sich die Kopien genauer anzusehen.
»Was du nicht sagst«, murmelte Hanne Wilhelmsen. »Sieh dir doch nur diese lächerlichen Texte an. Eins zwei in das Loch, unten liegt der tote Koch. Dummer Koch, jetzt ists genoch. Und dann diese Unterschrift: Reine Faust. Was soll denn das? Was ich meine, ist … alle Prominenten bekommen irgendwann mal Drohbriefe. Aber nur die wenigsten muß man ernst nehmen. Es wimmelt da draußen nur so von harmlosen Trotteln, um es mal so zu sagen. Dieser Verseschmied kann sehr gut dazugehören. Aber wir müssen doch ein System haben, das solchen Anzeigen nachgeht, wenn wirklich irgendwer ermordet wird, zum Henker!«
»Sei nicht so sauer auf mich, bitte.«
Silje Sørensen lächelte mädchenhaft, als wolle sie sich von jeglicher Verantwortung freisprechen. Hanne begriff nicht, warum sie mit dieser jungen Polizistin redete. Vorläufig wußte sie nur, daß sie es mit einer sympathischen und vermutlich verwöhnten jungen Frau zu tun hatte. Aber es war etwas mit ihren Augen. Sie erinnerten Hanne an etwas, das sie schon längst verloren oder vergessen hatte.
»Noch eins.« Hanne ließ die weiterhin nicht angezündete Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger ihrer rechten Hand herumwirbeln. »Warum hat niemand versucht, die Person zu finden, die die Leiche entdeckt hat?«
»Die Leiche entdeckt? Das waren doch wir. Zwei Kollegen, die …«
»Nein. Irgendwer hat angerufen.«
»Ja, aber das war nur eine kurze Mitteilung und …«
»Diese Person hat aber vielleicht etwas zu erzählen.
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