Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
Helmersen Helmer vergiftet. Aber wir wollen es nicht übertreiben. Wir haben es mit einer verrückten alten Dame zu tun, die es satt hatte, daß Helmer hier herummaunzte und ins Treppenhaus pißte. Außerdem können wir nichts beweisen. Der Teller ist verschwunden, und Helmer ist tot und begraben. Du hast doch selbst auf dieser Zeremonie bestanden.«
»Für Thomas war das wichtig«, sagte sie gereizt und rutschte weg. »Wenn du nicht mitkommen willst, gehe ich allein zur Polizei.«
»Womit denn? Glaubst du wirklich, die Polizei kann sich um einen toten Kater kümmern, in einer Stadt, wo Menschen ermordet und vergewaltigt werden und …«
»Du hast ja recht.«
Sonja Gråfjell stand auf. Thomas hatte die Tür geöffnet und zupfte an seiner Schlafanzugjacke.
»Ich kann nicht schlafen«, jammerte er. »Kann ich noch ein bißchen aufbleiben?«
»Aber sicher«, sagte seine Mutter und nahm ihn an der Hand. »Komm her, du, vielleicht kommt etwas Schönes im Fernsehen.«
Als die Familie Gråfjell Berntsen am Sonntag morgen erwachte, war keine Rede mehr von der Polizei. Sie fuhren ins Tierheim und suchten sich ein Kätzchen aus, wie die Mutter es Thomas versprochen hatte. Es war rot, genau wie Helmer.
»Der soll Tigi heißen«, sagte Thomas.
20
Idun Franck musterte ihr Spiegelbild mit skeptischem Blick. Sie trug eine schwarze Hose und einen grauen Pullover mit V-Ausschnitt. Zur Zeit trug sie nur Grau und Schwarz. Es stand ihr nicht. Trotzdem wagte sie nicht, daran etwas zu ändern. Die Vorstellung, jetzt ins Theater zu gehen, war ihr unerträglich. Sie fuhr sich durch die feuchten Haare und überlegte sich die Sache zum dritten Mal anders.
»Geradewegs ins Theater, geradewegs nach Hause.«
Sie zog ihren Lammfellmantel an und drückte sich eine Wollmütze auf den Kopf. Die Wanduhr zeigte Viertel nach fünf. Wenn sie sich beeilte, konnte sie zu Fuß gehen, statt die Straßenbahn zu nehmen. Eigentlich mochte sie Samstagsvorstellungen nicht. Die fingen immer schon um sechs an, damit die Leute hinterher noch essen gehen konnten, Menschen in Feierlaune, die eifrig applaudierten, ob die Vorstellung nun gut gewesen war oder nicht. Idun ging ins Schlafzimmer, um sich ein Paar Socken zu holen; sie hatte ganz vergessen, daß sie nach dem Duschen noch immer barfuß war.
»Geradewegs ins Theater, geradewegs nach Hause.«
Der indische graulilafarbene Seidenschal hätte die Tristesse von Braun, Grau und Schwarz durchbrochen. Ein schwacher Parfümduft entströmte dem leeren Flakon, den sie zwischen Unterhosen, Socken und Halstücher gesteckt hatte. Sie riß ein Paar braune Frotteesocken an sich und wäre fast gestürzt, als sie sie anzog. Danach gingen ihre Hände den restlichen Inhalt der Schublade durch. Der indische Schal war und blieb verschwunden. Gereizt riß sie einen anderen heraus, den rotgoldenen, den sie sich einige Monate zuvor in Paris gekauft hatte. Als sie endlich die Tür hinter sich abschloß, fiel ihr ein, daß die Eintrittskarte noch auf dem Küchentisch lag.
Fast wären ihr die Tränen gekommen, als sie endlich mit der Eintrittskarte in der Hand die Treppe hinunterlaufen konnte.
»Danach geradewegs nach Hause«, wiederholte sie halblaut, und dann fiel ihr ein, daß sie ihre Brieftasche vergessen hatte.
Das spielte keine Rolle. Sie konnte ja beide Wege zu Fuß gehen.
Vernehmung von Signe Elise Johansen
Vernehmung durchgeführt von Silje Sørensen. Abgeschrieben von Sekretärin Pernille Jacobsen. Von dieser Vernehmung existiert ein Band. Die Vernehmung wurde am Sonntag, dem 12. Dezember, in der Osloer Hauptwache aufgezeichnet.
Zeugin:
Johansen, Signe Elise,
Personenkennummer 110619 73452
Wohnhaft: Nordbergveien 14, 0875 Oslo
Telefon 22 13 45 80
Beruf: Rentnerin
Über ihre Pflichten informiert, aussagebereit. Die
Zeugin ist die Mutter des Geschädigten.
PROTOKOLLANTIN:
Jetzt habe ich auf den Knopf gedrückt, jetzt geht es los. Die Uhr ist … 14 Uhr 17. Wie ich Ihnen bereits erklärt habe, erleichtert es unsere Arbeit, wenn wir alles, was Sie sagen, auf Band aufnehmen können. Dann brauche ich bei der Vernehmung nicht mitzuschreiben. Die Polizei freut sich sehr … hm … ich meine, ist sehr dankbar für Ihren Besuch. Ich weiß, daß das hart für Sie ist.
ZEUGIN:
Es ist entsetzlich. (Redet sehr laut.)
PROTOKOLLANTIN:
(Scharren) … ein wenig verschieben. Wir hören nachher wirklich genug … Sie brauchen nicht direkt ins Mikrofon zu sprechen, Frau Johansen. Sie können ganz normal
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