Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
dir einen.«
»Nein, nein. Das hat doch Zeit. Hier, nimm den.«
Hanne schob ihren Stuhl neben den Schreibtisch und machte es sich auf der Fensterbank gemütlich.
»So war das nicht gemeint«, sagte Silje Sørensen und blieb stehen. »Wie gesagt, ich sollte nur diese hier …« Sie zeigte auf die Papiere in dem grünen Ordner. »Weitere Vernehmungen. Und dann wollte ich sagen, daß … es schön ist, daß du wieder hier bist. Ich bin neu und so, aber … das war eigentlich alles. Willkommen.«
Sie ging zur Tür, drehte sich aber nach zwei Schritten noch einmal um.
»Sag mal, wo warst du eigentlich die ganze Zeit?«
Hanne lachte. Sie hob ihr Gesicht, wandte es dem Schneegestöber vor dem Fenster zu und lachte laut. Lange. Dann wischte sie sich die Augen und drehte sich wieder um.
»Du stellst vielleicht Fragen. Ich muß schon sagen. Seit ich nach Hause gekommen bin, habe ich noch nicht mit vielen geredet, aber jeder einzelne von denen hätte mehr Grund gehabt, mich danach zu fragen. Du bist die erste. Wirklich.«
Sie schluchzte auf und versuchte sich zusammenzureißen.
Silje Sørensen setzte sich. Dann schlug sie ein Bein über das andere, legte den Kopf schräg und fragte noch einmal: »Und wo warst du nun? Ich habe so viele seltsame Dinge gehört.«
»Sicher.«
Wieder lachte Hanne. Sie schnappte nach Luft, die Tränen liefen ihr nur so übers Gesicht. Dann verstummte sie plötzlich. Sie hielt den Atem an und schloß die Augen, weil heftige Kopfschmerzen beängstigend schnell ihren Nacken hochkrochen. Wenn sie sich jetzt nicht entspannte, würden die sich für lange festsetzen.
»Was hast du denn gehört?« fragte sie endlich.
»Komische Sachen. Ganz unterschiedliche.«
»Was denn?«
»Wo warst du denn? Kannst du das nicht einfach sagen?«
Wieder öffnete Hanne die Augen. Silje Sørensens Gesicht war noch nicht von der Polizeiarbeit gezeichnet. Sie versteckte sich nicht. Ihre großen blauen Augen verrieten ehrliche Neugier. Ihr Lächeln war echt. In ihren feinen Gesichtszügen lag nicht eine Spur von Zynismus.
»Jesus«, murmelte Hanne.
»Was?«
»Nichts. Du erinnerst mich an ein Bild, das ich … nichts. Schöner Ring.« Sie zeigte auf Silje Sørensens rechte Hand.
»Geschenk von meinem Mann.«
Silje flüsterte, als sei der Ring ein peinliches Geheimnis.
»Macht doch nichts. Kümmer dich nicht um die Leute hier im Haus. Die sind chronisch sauer über das Gehaltsniveau und können es nicht ertragen, wenn andere Geld haben. Ich war im Kloster.«
Hanne schlug mit den Hacken auf den Boden auf. Dann ging sie los. Zuerst lief sie zur Toilette, um mit einem Glas Wasser drei Paracet hinunterzuspülen. Dann spähte sie in vier Büros, auf der Suche nach einem Stuhl, den sie ohne allzu große Gewissensbisse mitnehmen konnte. Auf dem Rückweg balancierte sie mit der einen Hand einen Aschenbecher aus Ton auf einer halbvollen Kaffeetasse, während sie mit der anderen den Stuhl hinter sich herzog.
»Du bist ja noch immer hier«, sagte sie mit tonloser Stimme zu Silje Sørensen und zog die Tür hinter sich zu.
»Im Kloster«, sagte Silje langsam. »Stimmt das? Bist du … bist du Nonne geworden, oder was?«
»Nein. Nicht ganz. Ich habe in einem Klosterhotel gewohnt. In Italien. An einem Ort eben, wo man sich die Zeit nehmen kann … Zeit zu haben. Zu denken. Zu lesen. Ein wenig zu sich zu kommen. Schlichte Mahlzeiten zu sich zu nehmen, schlichten Wein zu trinken. Zu versuchen, den Weg zurück zu finden, zum … Schlichten.«
»Ach.«
»Das hast du wohl nicht gehört, stelle ich mir vor. Lektion Nr. 1 für jede Ermittlerin: Nicht alles glauben, was du hörst. Und auch nicht alles, was du siehst. Klar?«
Als Silje keine Antwort gab, öffnete Hanne einen ihrer Ordner.
»Silje«, sagte sie langsam, als sei sie nicht ganz sicher, ob ihr der Name zusage. »Wir arbeiten doch am selben Fall, sehe ich. Hast du dir schon einmal überlegt, daß die Ermittlungen in alle Richtungen auseinanderklaffen?«
»Was? Entschuldigung?«
»Ich kriege das einfach nicht zu fassen … sie sagen so wenig, diese Zeugen. Und ich habe mir überlegt, daß das nicht nur daran liegt, daß sie so wenig zu erzählen haben, sondern … sie werden ja auch nicht gefragt!«
»Aber das ist …«
»Nimm’s nicht persönlich. Du bist ganz neu hier, und deine Vernehmungen sind in Ordnung, aber … sieh dir das doch mal an! Diese Vernehmung hat Billy T. selbst durchgeführt.«
Hanne Wilhelmsen ließ ihre Zigarette auf den Boden
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