Das letzte Mahl: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
hingestellt hat – vielleicht war es auch etwas anderes. Ich war noch bei der Arbeit. Als ich nach Hause kam … war Helmer tot, und ich habe zu meinem Mann gesagt, wir … Bjørn, also, mein Mann, meinte, wir hätten keine Beweise, und es sei auch nicht … ist es strafbar, fremder Leute Katzen umzubringen?«
Sie redete abgehackt und hastig, so als sei es eine gewaltige Erleichterung, diese Last endlich mit jemandem teilen zu können. Sie fuhr sich über die Stirn und sah sie eine nach der anderen voller Hoffnung auf eine Antwort an.
»Lassen Sie uns die Sache noch einmal von Anfang an durchgehen.« Hanne lächelte aufmunternd. »Thomas kam aus der Schule. Was passierte dann?«
Sie brauchten über zehn Minuten, um die ganze Geschichte zusammenzubringen. Thomas kam aus der Küche zurück, wurde absolut gegen seinen Willen angezogen und mit Tigi hinunter auf den Hof geschickt.
»Das ist auf jeden Fall strafbar«, sagte Silje ohne große Überzeugung. »Einfach eine Katze umzubringen, meine ich.«
»Das kann unter das Tierschutzgesetz fallen«, sagte Hanne. »Und es ist zweifellos eine Verletzung fremden Eigentums. Wissen Sie zufällig, wo diese Tussi sich gerade aufhält?«
»Ich habe sie seit Tagen nicht gesehen. Ich hoffe, sie macht Urlaub.« Sonja Gråfjell schauderte und spielte an einem Engel herum, der aus dem Kern einer Klopapierrolle hergestellt war. Der Heiligenschein aus einem vergoldeten Pfeifenreiniger fiel auf den Boden. »Diese Frau ist ganz einfach unheimlich.«
»Das finde ich auch, Mama. Frau Helmersen ist schrecklich unheimlich.« Der Junge hatte offenbar auf der Treppe kehrtgemacht.
»Ich glaube, sie fängt Katzen. Vielleicht ist sie … so eine Hexe, die Tiere frißt. Ich habe Tigi aus ihrer Wohnung gerettet. Er ist hineingelaufen, weil die Wohnung …« Er verschluckte das letzte Wort und errötete ein wenig.
»Thomas«, sagte die Mutter streng. »Du warst bei Frau Helmersen in der Wohnung?«
Der Junge nickte zaghaft.
»Aber nur, weil Tigi reingelaufen war. Ich wollte nicht, daß Frau Helmersen ihn fängt. Aber die war gar nicht zu Hause.«
Thomas’ Verlegenheit war wie weggeblasen. Die beiden Polizistinnen wollten hören, was er zu erzählen hatte, das sah er ihnen an. Er lächelte triumphierend und zeigte dabei ein großes Loch im Oberkiefer, da, wo vor kurzem noch seine Schneidezähne gesessen hatten.
»Frau Helmersen hat überall Medizin rumliegen«, lispelte er eifrig. »Mehr als Oma. Viel mehr als … die Apotheke. Überall. Auf dem Tisch und dem Fernseher und der Kommode und überall.«
Er ließ den Kater los und machte drei vorsichtige Schritte ins Zimmer hinein, wobei er zu seiner Mutter hinüberschielte.
»Wir haben nur einen Medizinschrank. Mit einer Schlange. Die sagt, daß Medizin gefährlich ist. Die Schlange.«
Thomas öffnete den Reißverschluß seiner Steppjacke. Hanne Wilhelmsen beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie.
»Bist du dir da ganz sicher? Daß es bei Frau Helmersen soviel Medizin gibt?«
»Ja.« Er nickte heftig.
»Steht die im Wohnzimmer? So ganz offen?«
»Mhm. So wie …« Er schaute zum Fernseher hinüber und zeigte auf drei gläserne Spatzen. »So wie die Vögel da. Als Schmuck, irgendwie.«
Hanne sprang auf und ging zu dem Jungen hinüber. Ihren Tee hatte sie nicht angerührt. Sie fuhr dem Kleinen über den Kopf.
»Du kannst später zur Polizei kommen, Thomas. Du wirst ein richtig tüchtiger Polizist. Vielen Dank für all die Auskünfte.«
Sie nickte Sonja Gråfjell zu und winkte Silje zu sich. Unten auf dem Hof wählte sie die Nummer der Wache. Nach einem kurzen Gespräch schaltete sie ihr Telefon aus und schüttelte resigniert den Kopf.
»Annmari Skar erlaubt uns nicht, die Tür zu öffnen. Sie meint, es sei nicht dringend genug. Die nun wieder. Die meisten Juristen haben eine seltsame Vorstellung davon, was dringend ist und was nicht.«
Sie putzte sich die Nase und rieb sich die Lippen mit Mentholcreme ein.
»Also müssen wir Tussi finden. Und höflich um Erlaubnis bitten. Ich werde schon noch in diese Wohnung kommen. Nicht wahr, Silje?« Sie klopfte der jungen Kollegin den Rücken.
»Sicher«, sagte Silje Sørensen. »So schwierig kann es ja wohl nicht sein, eine Tussi wie Tussi Helmersen ausfindig zu machen.«
Es war noch genau eine Woche bis zum Heiligen Abend, und ein milder Wind konnte den Eindruck erwecken, daß ein Wetterumschwung unmittelbar bevorstand.
43
Die anderen Gäste hatten ihre Abendmahlzeit
Weitere Kostenlose Bücher