Das letzte Opfer (German Edition)
dekorierte er – mit den Erinnerungsstücken seiner Opfer.
Er versuchte abzuschätzen, ob ein Vorstoß bei Karen lohnte, vielleicht am Montag, wenn ihr Mann anderswo beschäftigt war. Das durfte Klinkhammer gerne übernehmen. Dass sie sich ihm eher öffnen würde, war nicht zu übersehen. Jedes Mal entspannte sich ihre Miene, wenn ihre Augen auf Klinkhammer trafen, der das nervige Kerlchen unterhielt.
Nach ihrer Einladung zum Kaffee wollte sie in die Küche. Doch in dem Moment kam ihr Mann die Treppe herunter. Ein anderes Kaliber als das winselnde Bündel Stefan Leitner. Selbstbewusst und arrogant, der erfolgreiche Fotograf, der nur unterwegs gewesen war, um auszuspannen in freier Natur. Weil er nach Wochen harter Studioarbeit mit strapaziösen jungen Frauen keine hübschen Gesichter mehr sehen konnte – es sei denn, sie lagen in einem schlammigen Tümpel oder einer Pfütze, und er durfte ihnen den Fuß ins Genick setzen wie ein Großwildjäger.
Scheib kam nicht umhin, ihn für seinen Auftritt zu bewundern. Stichler schien nicht das Geringste zu befürchten. Die Polizei so zu provozieren, durfte sich eigentlich nur ein Mann erlauben, der allein mit seinem Wagen auf einem Waldweg gestanden hatte. Scheib sah sich in den Annahmen bestätigt, die er in München gewonnen hatte.
Für ihn hatte Stichler nur einen flüchtigen Blick. Er konzentrierte sich auf Klinkhammer, die Stimme scharf wie ein geschliffenes Messer: «Hatte ich Ihnen nicht meine Firmenanschrift genannt?»
Klinkhammer hob bedauernd die Schultern und spielte unaufgefordert den Taubenjäger. «Ja, hatte ich mir aber leider nicht notiert. Es sind auch nur noch ein paar Fragen.»
«Die ich Ihnen gerne am Montag beantworte», erklärte Stichler. «Aber mehr als ich bereits am Donnerstag zu Protokoll gegeben habe, kann ich Ihnen auch am Montag nicht sagen. Und nun entschuldigen Sie uns bitte. Ich habe meinem Sohn einen Ausflug versprochen.»
Es wäre Karen entschieden lieber gewesen, er hätte einen anderen Ton angeschlagen, etwas freundlicher. Er musste sie doch nicht mit Gewalt gegen sich aufbringen.
An Klinkhammers Stelle antwortete Scheib: «Wir halten Sie nicht lange auf, Herr Stichler. Ihre Frau war so nett, uns zu einem Kaffee einzuladen. Da können wir das gleich klären, es geht genau genommen nur um …»
«Nein», schnitt Stichler ihm das Wort ab und zeigte auf die Tür. «Wenn die Angaben, die ich am Donnerstag gemacht habe, nicht reichen, möchte ich jetzt offiziell Anzeige wegen Verleumdung gegen diese alte Frau erstatten. Fahren wir.»
«Darf ich mit?», fragte Kevin. «Ich bin auch ganz lieb.»
Von einer Sekunde zur nächsten verwandelte sich der wütende Mann in einen zärtlichen Vater, nahm den Jungen auf den Arm, schlug einen sanften, erst bedauernden, dann enthusiastischen Ton an. «Heute geht es leider nicht. Aber ich habe eine gute Idee, du fährst mit Oma Christa, Michael und Jasmin voraus. Ich komme nach, sobald ich alles erledigt habe.»
Zu Karen sagte er: «Ich bringe ihn rasch vorbei, dann geht er dir nicht auf die Nerven. Wenn es etwas später werden sollte und sie nicht auf uns warten wollen, können sie in zwei Autos vorausfahren. Sarah hat ja auch einen Kindersitz im Wagen.»
«So viel Mühe ist gar nicht nötig», sagte Scheib rasch. «Wir brauchen nur genauere Angaben zu der Strecke, die Sie zwischen siebzehn und einundzwanzig Uhr gefahren sind. Das können wir wirklich hier machen.»
«Nein», sagte Stichler wieder. «Ich nehme doch an, Sie haben verstanden, was ich sagte. Ich will Anzeige erstatten. Danach können Sie mir gerne ein paar Fragen stellen, aber nicht in Gegenwart meiner Frau. Die Sache hat sie schon genug aufgeregt.»
«Jetzt mach doch nicht so ein Theater um mich», bat Karen. «Mir ist es lieber, wenn ich die Fragen höre, als dass ich mir den Kopf …»
«Schatz», unterbrach er sie liebevoll, aber nachdrücklich. «Du musst dir nicht den Kopf zerbrechen. Ich weiß schon, was ich tue, mach dir keine Sorgen.»
Dann ging er mit Kevin auf dem Arm in die Diele, öffnete die Haustür und trat ins Freie. Scheib und Klinkhammer folgten ihm notgedrungen. Klinkhammer lächelte sie noch einmal bedauernd an, ehe er die Haustür hinter sich zuzog – und wurde den Anblick lange Zeit nicht los. Seltsamerweise sah er noch Wochen später ihr Gesicht so, wie es in dem Moment war, unversehrt, mit dieser Bitte in den Augen. Sorgen Sie dafür, dass alles in Ordnung bleibt. Das war ihm leider nicht
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