Das letzte Opfer (German Edition)
«Kann ich in dein Bett bis Frühstück? Ich erzähl dir, was ich geträumt hab. Kann ich zur Belohnung ein Fisch haben? Ich hab viele Fischen gesehen. Ich will einen großen schwarzen. Wenn Mama ein Loch in Garten macht …»
«Stecken wir dich da rein», unterbrach Marko das Geplapper. «Du brauchst keinen Fisch, du bist einer. Aber du solltest ein Widder werden, und das merkt man. Na, komm her.» Er hob das Laken an. Kevin schlüpfte zu ihm. Sie hörte ihren Sohn kichern, bis sie die Badezimmertür hinter sich schloss. Und in diesem Moment war sie glücklich, rundum zufrieden.
Marko verzichtete aufs Ausschlafen, saß schon mit am Frühstückstisch und sorgte dafür, dass Kevin sein Brot aß, ohne mit der Nussnougatcreme drei Dutzend Bausteine zu beschmieren.
Den ganzen Vormittag hing er auf Schritt und Tritt an Markos Fersen. Die Kinderstimme plapperte unermüdlich, hin und wieder kam von Marko ein kurzer Kommentar. Er kümmerte sich nicht nur um Kevin, auch um den Inhalt seiner Reisetasche. Das tat er immer. In den ersten Wochen, als sie gerade zu ihm und Margo gezogen war, hatte sie einmal seine Tasche ausräumen wollen, und er hatte gesagt: «Du bist nicht mein Dienstmädchen, Schatz. Und es könnte etwas in der Tasche sein, von dem ich nicht möchte, dass du es findest. Eine kleine Überraschung, verstehst du?»
Er brachte ihr häufig etwas mit. Keine großartigen Geschenke, manchmal nur einen Zweig, den sie in ein Gesteck einarbeitete. Diesmal hatte er ein Dutzend Vergissmeinnicht irgendwo im Wald ausgezogen – für den Garten. «Aus dem Dutzend ist in einem Jahr ein Beet geworden», sagte er. «Sie vermehren sich rasch.»
Für Kevin zog er den Bausatz für einen Bagger aus der Tasche. Eigentlich war er dafür noch zu klein. Marko wollte den Bagger mit ihm zusammen bauen. Nachdem er ihm das Paket gegeben und ihn ermahnt hatte, nicht all die kleinen Bausteine in den großen Karton zu werfen, stopfte er Jeans, T-Shirts, Socken und Unterwäsche in die Waschmaschine.
Nach dem Mittagessen fuhr er nach Köln, Kevin nahm er mit. Nach zwei Wochen ohne Papa hatte der Junge einen großen Nachholbedarf und sie ein starkes Bedürfnis nach Ruhe. Sie räumte rasch die Küche auf und setzte sich ins Wohnzimmer.
Die Nachbarin, die auch der Theatergruppe angehörte, hatte ihr am Vormittag, als sie die Vergissmeinnicht einpflanzte, ein neues Rollenheft über den Zaun gereicht. Von der Zeit her war es ein bisschen knapp, nur vier Wochen bis zur ersten Aufführung. Deshalb sollten zwei Proben pro Woche stattfinden, dienstags und freitags, da passte es ganz gut, dass sie nicht mehr zu Doktor Gerber ging. Eine knappe Stunde brauchte sie, um eine Rolle zu lernen, die sie nie spielen sollte.
Um halb vier holte sie den Spaten aus der Garage. Marko hatte unterwegs ein paar Zeichnungen gemacht, welche Form ihr neuer Teich haben und wie die Umgebung aussehen sollte. Mindestens zwei Meter im Durchmesser und tiefer als der alte, etwa einen Meter an der tiefsten Stelle. Die ausgehobene Erde zum Zaun hin bogenförmig wie eine Hügellandschaft arrangiert, dicht bepflanzt mit Gräsern und Schilf. Als die Nachbarin eine Stunde später ins Freie kam, hatte sie schon ein ansehnliches Loch ausgehoben.
Während sie weitergrub, unterhielten sie sich über den Gartenzaun. Zwischen den Grundstücken war er nur kniehoch. Zu den Fußwegen hin bot er Sichtschutz. Marko hatte schon kurz nach ihrem Einzug dafür gesorgt, dass Norbert den Zaun auf zwei Meter erhöhte.
Die Kinder aus dem Eckhaus gegenüber hatten zu Anfang häufig ihre Bälle in den Garten geworfen und waren dann über den Zaun gestiegen. Das hatten sie auch noch ein paar Mal getan, nachdem Norbert ihn erhöht hatte. Um sie endgültig vom Grundstück fern zu halten, hatte er sich einen fiesen Trick einfallen lassen. Die oberen Bretter geteert und Glassplitter darauf gestreut. Eine Maßnahme gegen Einbrecher nannte er das.
Die Nachbarin kam auf den Spaten in ihren Händen zu sprechen. «Warum überlässt du das nicht Marko? Graben ist doch Männersache. Es war ja auch seine Idee.»
Am Vormittag hatte Karen ihr vom neuen Teich erzählt. Aber Marko mit einem Spaten in der Hand, die Vorstellung reizte sie zum Lachen. Der Garten war immer ihr Territorium gewesen. Er hatte doch schon mit dem Rasenmäher seine liebe Not gehabt während ihrer Schwangerschaft. Aber dafür wusch er seine Wäsche selbst, das glich sich doch aus.
Sie war ganz in Gedanken versunken, als ihre Nachbarin
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