Das letzte Opfer (German Edition)
Weigler hatte gleich mittwochs die Staatsanwaltschaft eingeschaltet und Frau Leitners schwarzen Alfa Romeo auf Spuren eines Verbrechens untersuchen lassen. Man fand keine, der Wagen verfügte über Ledersitze und war gründlich gereinigt worden. Blut hätte man trotzdem feststellen müssen, wenn es im Wagen geflossen wäre. Aber es konnte irgendwo draußen zu einer tödlichen Auseinandersetzung gekommen sein oder in dem Ferienhaus in Pöcking am Starnberger See. Weigler wollte den Erkennungsdienst auch dort hinschicken, holte sich jedoch eine herbe Abfuhr.
Der Staatsanwalt schreckte davor zurück, einen Durchsuchungsbeschluss für das Anwesen zu beantragen, solange es keinen eindeutigen Beweis für eine Straftat gab. Er erinnerte Weigler nachdrücklich an Julia Roberts, wo ein ähnlicher Irrtum einen höchstwahrscheinlich unschuldigen Mann das Leben gekostet hatte. Nach einer Wiederholung war ihm nicht, gewiss nicht mit dem überaus labilen Sohn eines renommierten Strafverteidigers.
Er empfahl Weigler, Thomas Scheib zu verständigen. Leitners Angaben würden doch verdächtige Übereinstimmungen zeigen. Dunkelhaariger Mann, neuer Job. Und wenn man sich die beiden Frauen anschaue, die Haarfarbe, das schmale Gesicht, zweimal der gleiche Typ. Da dürfe man schon in Betracht ziehen, dass Stefan Leitner die Wahrheit sage.
Weigler dachte nicht im Traum daran, der Empfehlung zu folgen und sich erneut mit dem Geisterjäger auseinander zu setzen. Er verfolgte seine eigene Strategie und überzeugte seinen jungen Kollegen Fährlich, dass es die richtige war.
Leitner ein paar Tage Ruhe gönnen. Der Knabe war dem Druck nicht gewachsen, er würde über kurz oder lang unter der emotionalen Belastung zusammenbrechen, die Anweisungen seines Vaters ignorieren und zur Leiche seiner Freundin rennen. Man müsse nur ein bisschen Geduld haben und ihn observieren. Wenn man die Leiche hatte, konnte man ganz anders vorgehen.
Über Oliver Lohmann machte Weigler sich keine Gedanken. Der graue Peugeot stand nun rund um die Uhr etwa fünfzig Meter vom Anwesen der Leitners entfernt. Der Tank war leer bis auf den letzten Tropfen. Oliver verbrachte die Nächte im Auto, kam am Spätnachmittag, saß Stunde um Stunde aufrecht hinter dem Steuer, ließ keinen Blick von der Grundstückszufahrt, bis ihm die Augen von alleine zufielen.
Am frühen Morgen machte er sich dann auf den Weg in die Stadt, um etwas in den Bauch zu bekommen. In Einkaufspassagen oder am Hauptbahnhof bettelte er Passanten an. Seit Tagen ungewaschen, in der verschwitzten, verschmutzten Kleidung unterschied Oliver sich kaum von einem Penner. Wenn er genug erbettelt hatte, kaufte er sich etwas zu essen und ein paar Dosen Bier – alkoholfrei. Barbara hatte ihn so mühsam von Alkohol und Drogen entwöhnt. Er meinte, er sei es ihr schuldig, einen klaren Kopf zu behalten, bis ihr Mörder seine gerechte Strafe bekommen hatte.
Gegen Mittag erschien Oliver meist im Polizeipräsidium, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Meist war es Fährlich, der sich mit ihm auseinander setzen musste. Olivers erste Frage war immer: «Wann verhaften Sie Stefan endlich?»
«Ohne Beweise können wir niemanden verhaften, Herr Lohmann», antwortete Fährlich regelmäßig.
«Aber Sie haben doch einen Zeugen, der gesehen hat, dass Stefan sie mitgenommen hat.»
«Leider nicht mehr als das.»
Am Dienstag, dem 2. Mai, zehn Tage nach dem Verschwinden seiner Schwester, kam Oliver zum letzten Mal ins Präsidium. Fährlich bemühte sich, ihn zur Heimfahrt zu überreden. Doch dazu war er um keinen Preis bereit. Seine finanzielle Notlage erwähnte er nicht, sagte nur: «Ich geh hier erst weg, wenn ich weiß, wo Barbara ist.»
Was kümmerte es ihn noch, ob er sein eigenes Leben ruinierte? «Das ist sowieso kaputt, wenn sie tot ist», sagte er. «Und das ist sie, ich weiß es. Und ich weiß, wer sie umgebracht hat. Wenn Sie Barbara gekannt hätten, würden Sie den Blödsinn, den Stefan und sein Alter verzapfen, keine Sekunde lang glauben. Sie hatte keinen neuen Freund und wollte keinen neuen Job. Das müsste ich ja wohl wissen. Stefan hat sie aufgeschlitzt, weil sie sich auf nichts mehr einließ. Ist doch klar, dass er lügt.»
Während er weitersprach, rieb er mit dem rechten Daumen durch die linke Handfläche und schniefte. «Wenn Sie ihn nicht bald verhaften, braucht er keine Zelle mehr. Irgendwann kommt er raus, und dann schlitz ich ihn auf.»
«Machen Sie keine Dummheiten, Herr Lohmann», mahnte
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