Das letzte Opfer (German Edition)
Kapitaldelikten zu tun hatte. Aber auch Klinkhammer hatte schon in einem Mord ohne Leiche ermittelt – natürlich ohne Erfolg.
Er war dreiundvierzig Jahre alt und seit zwanzig Jahren verheiratet. Seine Frau war fünf Jahre älter als er, verdiente gut das Doppelte und hatte zudem von ihren Eltern geerbt. Die Ehe war kinderlos. Er hätte es sich leisten können, in teuren Anzügen seine Arbeit zu tun. Nur legte er absolut keinen Wert auf Äußerlichkeiten, zum Frisör ging er immer erst, wenn seine Frau ihm demonstrativ eine Zopfspange hinlegte.
Sein beruflicher Ehrgeiz hielt sich ebenfalls in Grenzen. Sein ungelöster Mordfall verursachte ihm hin und wieder noch Magendrücken. Schon deswegen war er zufrieden mit Einbrüchen und Drogenhandel im kleinen Stil, damit konnte man ruhig schlafen. Der Anruf aus München sollte Arno Klinkhammer etliche schlaflose Nächte kosten und ihn zu einer zentralen Figur machen in dem Fall, der Thomas Scheib seit fast acht Jahren Tag und Nacht verfolgte.
Weigler informierte Klinkhammer umfassend über den Sachverhalt, wie er sich ihm darstellte. Liebestoller Bursche bringt seine Freundin um, als sie sich trennen will. Und rachsüchtiges altes Weib versucht mit allen Mitteln, einem harmlosen Autofahrer etwas anzuhängen, weil er sie Kneifzange genannt hatte. Weigler bat, Angaben zum Ostersamstag einzuholen, wenn überhaupt eine Frau in dem Mercedes gesessen haben sollte, sei es vermutlich die Ehefrau oder Freundin des Fahrers gewesen, meinte er.
In der Annahme, es handle sich um eine Bagatelle, überlegte Klinkhammer noch, ob er sich persönlich nach Sindorf bemühen sollte. Er fuhr nicht gerne Dienstwagen, die hatten immer irgendwelche Macken. Eigentlich wollte er pünktlich Feierabend machen, auf ihn wartete noch etwas Gartenarbeit. Aber dann brach er doch zusammen mit einem uniformierten Kollegen auf – und gelangte binnen weniger Minuten zu einer Ansicht, von der er nicht mehr abzubringen war.
Seiner äußeren Erscheinung zum Trotz war Arno Klinkhammer ein Polizist, dem so leicht niemand etwas vormachte. Er besaß genügend Menschenkenntnis und Erfahrung, war auch daran gewöhnt, dass gerade unbescholtene Bürger oder Bürgerinnen beim Anblick einer Uniform oder gar eines Dienstausweises der Kriminalpolizei zusammenzuckten, dass sich auf ihren Gesichtern ein Ausdruck von schlechtem Gewissen oder Unbehagen ausbreitete, weil sie im Grunde alle etwas auf dem Kerbholz hatten, der eine beschummelte seine Versicherung, der andere das Finanzamt.
Nur zuckte Karen nicht zusammen, als sie öffnete. Sie zeigte auch keinen Ausdruck von schlechtem Gewissen oder Unbehagen. Sie wurde leichenblass, begann am gesamten Körper zu zittern, musste sich am Türrahmen abstützen, um sich aufrecht zu halten. Ehe Klinkhammer den Grund seines Erscheinens nennen konnte, erklärte sie hastig: «Es ist alles meine Schuld. Wenn sie tot sind, hab ich sie umgebracht. Aber ich wollte nicht, dass jemand stirbt, glauben Sie mir. Ich wollte doch nur verhindern, dass noch mehr passierte. Angefleht habe ich sie, sich nicht mit ihm zu treffen. Ich wusste, wozu er fähig war. Ich hätte ihr das nie erzählen dürfen.»
Dann stammelte sie etwas von einer Fahrt im Auto des Bruders und einer Freundin, die bis um vier Uhr einen Mann abservieren wollte, der ihr auf die Nerven ging. Danach hatte ihre Freundin noch eine besondere Verabredung, wollte einen Scheißkerl aus der Welt schaffen. Nach allem, was Klinkhammer aus München gehört hatte, klang das, als spräche sie von Barbara Lohmann. Der Rest klang nach Panik – und einem Mercedes.
«Als ich den Benz sah, war ich wie gelähmt. Ich weiß nicht, wie lange ich auf dem Parkplatz gewartet und warum ich ihn nicht gesehen habe. Das Blut habe ich gesehen, aber das war nicht viel, nur so ein Schmierstreifen. Ich hab mir nichts dabei gedacht. Ich glaube, ich hab überhaupt nicht gedacht. Als er auf uns zustürzte, er wollte mich auf der Stelle ersäufen. Ich hatte so schreckliche Angst.»
Die hatte sie immer noch, das war für Klinkhammer nicht zu übersehen. Und da war diese Grube im Garten, ein Loch von beträchtlichen Ausmaßen. Darauf angesprochen erklärte Karen, sie müsse ein leichtsinniges Mädchen begraben. Ihr Mann habe den Vorschlag gemacht und auch gesagt, das Loch müsse viel größer sein als das erste.
Was sollte ein Polizist, der noch nichts von einem Verkehrsunfall mit Todesfolge wusste, bei solchen Auskünften denken? Klinkhammer war aufs Höchste
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