Das Letzte Protokoll
erfunden.«
Misty hat es dir gesagt.
Und du hast gesagt: »Du erinnerst dich an dieses Haus, weil es noch in deinem Herzen ist.«
Und Misty hat gesagt: »Woher zum Geier willst du wi s sen, was in meinem Scheißherzen ist?«
Die großen Steinhäuser. Moos an den Bäumen. Ozea n wellen, die heranrauschen und sich an den braunen Fel s klippen brechen. All das war in ihrem kleinen armen He r zen.
Vielleicht, weil Misty immer noch stehen blieb, vielleicht, weil du gedacht hast, sie ist dick und einsam und nicht vor dir wegg e laufen, hast du lächelnd zu der Brosche an deiner Brust hinu n tergesehen. Dann hast du Misty g e fragt: »Gefällt dir die?«
Und Misty hat gesagt: »Wie alt ist die?«
Und du hast gesagt: »Alt.«
»Was sind das für Steine?«, sagte sie.
»Blaue«, war deine Antwort.
Nur um das festzuhalten: Es war nicht einfach, sich in Peter Wilmot zu verlieben. In dich.
Misty sagte: »Wo stammt die her?«
Und Peter schüttelte leicht den Kopf und grinste den Fußboden an. Kaute an der Unterlippe. Sah mit verkniff e nen Augen nach den wenigen Leuten, die noch in der G a lerie waren, sah dann Misty an und sagte: »Versprichst du mir, dass du nicht gleich ausflippst, wenn ich dir was ze i ge?«
Sie sah über die Schulter nach ihren Freundinnen; sie standen hinten im Raum vor einem Bild, schauten aber zu ihr herüber.
Und Peter, den Hintern immer noch an der Wand, beu g te sich vor und flüsterte: »Um echte Kunst zu machen, muss man le i den.«
Nur um das festzuhalten: Peter hat Misty einmal gefragt, ob sie wisse, warum sie gerade jene Kunst möge, die sie möge. Wieso könne man eine schreckliche Schlachtszene wie Picassos Guernica als schön empfinden und ein Bild von zwei Einhörnern, die sich in einem Blumengarten küssen, als den letzten Scheiß?
Weiß überhaupt irgendwer, warum er was mag?
Warum die Leute tun, was sie tun?
Eines von den Bildern in der Galerie musste von Peter sein, also sagte Misty, von ihren Freundinnen belauert: »Ja. Zeig mir mal, was echte Kunst ist.«
Und Peter nahm einen Schluck Bier und reichte ihr den Plasti k becher. »Denk dran, du hast mir was versprochen.« Und packte mit beiden Händen den Saum seines Pull o vers und zog ihn hoch. Wie einen Theatervorhang. Eine Enthüllung. Unter dem Pullover zeigte sich sein flacher Bauch, in der Mitte mit etwas Haar b e wachsen. Dann sein Nabel. Das Haar breitete sich seitlich aus, bis um die rosa Brustwarzen herum, die jetzt langsam zum Vo r schein k a men.
Der Pullover, Peters Gesicht dahinter verborgen, blieb hängen, und eine Brustwarze hob sich, rot und verschorft, als längliche Spitze von seiner Brust: Irgendwie klebte sie an der Innenseite des Pullovers fest.
»Sieh hin«, sagte Peter durch den Pullover, »ich hab die Br o sche durch die Brustwarze gesteckt.«
Jemand stieß einen spitzen Schrei aus, und Misty fuhr herum und starrte ihre Freundinnen an. Der Plastikbecher fiel ihr aus der Hand und klatschte auf den Boden. Bier spritzte umher.
Peter ließ den Pullover wieder sinken und sagte: »Du hast mir was versprochen.«
Sie war das gewesen. Die rostige Nadel ging an einer Se i te der Brustwarze rein und an der anderen wieder raus. Die Haut in der Umgebung war mit Blut verschmiert. Die Haare klebten in angetrocknetem Blut. Es war Misty gewesen. Sie hatte da g e schrien.
»Ich mache jeden Tag ein neues Loch«, sagte Peter und bückte sich, um den Becher aufzuheben. Er sagte: »Damit ich jeden Tag neue Schmerzen empfinde.«
Als sie jetzt hinsah, war der Pullover um die Brosche herum von dunklem Blut verkrustet. Immerhin, sie war hier auf der Kuns t akademie. Sie hatte schon Schlimmeres gesehen. Oder aber auch nicht.
»Du«, sagte Misty, »du bist ja verrückt.« Sie lachte grundlos auf, vielleicht im Schock, und sagte: »Im Ernst. Du bist wide r lich.« Ihre Füße waren in den Sandalen vom Bier ganz klebrig.
Wer weiß schon, warum wir mögen, was wir mögen?
Und Peter sagte: »Schon mal von der Malerin Maura Kincaid gehört?« Er drehte an der Brosche in seiner Brust so, dass sie im he l len Licht der Galerie aufblitzte. So, dass die Wunde weiter blutete. »Oder von der Malerschule auf Waytansea?«, sagte er.
Warum tun wir, was wir tun?
Misty sah zu ihren Freundinnen hinüber, und die sahen zurück: die Augenbrauen hochgezogen, bereit, ihr zu Hi l fe zu eilen.
Und sie sah Peter an und sagte: »Ich heiße Misty«, und hielt ihm die Hand hin.
Und langsam, ohne den Blick von ihr zu wenden, griff er nach
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