Das Letzte Protokoll
Ein kleines privates Paradies. Ihre Freu n dinnen sagten, das sehe aber hübsch aus, die Farben und alles, und dann sagte jemand: »Nicht umdrehen, Peter der Rammler ist im Anmarsch.«
Misty sagte: »Peter wie?«
Und jemand sagte: »Peter Wilmot.«
Jemand anders sagte: »Bloß keinen Blickkontakt au f nehmen.«
Alle ihre Freundinnen meinten zu Misty, dass sie ihn nur nicht ermutigen solle. Wenn Peter irgendwo reinkam, ha t ten plötzlich alle anwesenden Frauen einen Grund hi n auszugehen. Nicht dass er direkt stank, aber trotzdem versuchten sie irgendwie, sich hi n ter ihren Händen zu verstecken. Nicht dass er ihnen auf die Brü s te starrte, aber die meisten Frauen verschränkten trotzdem ihre A r me davor. Wenn man eine Frau mit Peter Wilmot reden sah, legte ihr Frontalis-Muskel ihre Stirn in Querfalten: ein B e weis dafür, dass sie Angst hatte. Peters A u genlider waren immer halb geschlossen, aber nicht wie bei e i nem, der sich gerade verliebte; eher sah es aus, als ob er wütend wäre.
An jenem Abend in der Kunstgalerie gingen Mistys Freundi n nen dann jedenfalls auseinander.
Und schon war sie mit Peter allein. Er stand mit seinen fettigen Haaren und dem Pullover und dem alten Schrot t schmuck da, die Hände in die Hüften gestemmt, schauke l te auf den Absätzen, sah sich das Bild an und sagte: »Und?«
Ohne sie anzusehen, sagte er: »Bist du auch so ein feiges Huhn und läufst davon wie deine Freundinnen?«
Er sagte das mit vorgewölbter Brust. Seine Lider waren halb g e schlossen, und das Kinn ging hin und her. Er knirschte mit den Zähnen. Dann drehte er sich um und ließ sich mit dem R ü cken so heftig gegen die Wand fallen, dass das Bild neben ihm aus der Senkrechten geriet. Die Schultern an der Wand, die Hände in den Taschen seiner Jeans, lehnte er da an der Wand. Er machte die Augen zu und holte tief Luft. Langsam ausa t mend, öffnete er die Augen wieder, starrte sie an und sagte: »Und? Was hältst du d a von?«
»Von dem Bild?«, sagte Misty. Das wuchtige Steinhaus. Sie rückte es wieder gerade.
Und Peter sah zur Seite, ohne den Kopf zu wenden. Nur die Augen verdrehte er und besah sich das Bild über die Schulter. Er sagte: »Ich bin neben diesem Haus aufg e wachsen. Der mit dem Buch, das ist Brett Petersen.« Und dann lauter, viel zu laut: »Ich möchte wissen, ob du mich heiraten willst.«
Das war Peters Heiratsantrag.
Dein Heiratsantrag. Bei der ersten Begegnung.
Er war von der Insel, das sagten sie alle. Das ganze Wachsfig u renkabinett von Waytansea Island, alle diese vornehmen alten Inselfamilien, die bis zur Mayflower-Verfassung zurückgingen. Diese vornehmen alten Stammbäume, wo jeder mit jedem ve r wandt war. Wo seit zweihundert Jahren niemand mehr hatte Si l berbesteck kaufen müssen. Zu jeder Mahlzeit aßen sie Fleisch, und die Söhne schienen allesamt denselben schäbigen alten Schmuck zu tragen. Hatten ihre eigene region a le Mode. Alte, mit Schindeln verkleidete Steinhäuser, aufgetürmt an Elm Street, J u niper Street, Hornbeam Street, einfach so von der salzhaltigen Luft verwittert. Sogar ihre Golden Retriever waren allesamt aus Inzucht hervorg e gangen.
Die Leute sagten, auf Waytansea Island gebe es praktisch nur Museumsstücke. Die miefige alte Fähre, auf die nur sechs Autos passen. Die drei Querstraßen weit reichende Zeile aus roten Backsteinhäusern an der Merchant Street, der Lebensmittell a den, der alte Uhrturm der Bücherei, die Geschäfte. Die weißen Schi n deln und die voll verglasten Terrassen des geschlossenen alten Hotels Waytansea. Die Kirche, ein Bau aus Granit und buntem Glas.
Damals, in der Galerie der Kunstakademie, trug Peter eine Br o sche: außen ein Kreis schmutzig blauer Strasssteine, innen ein Kreis künstlicher Perlen. Einige der blauen Ste i ne fehlten, und die leeren Fassungen hatten scharfe, schartige kleine Zähne. Si l ber, aber verbogen und schwarz a n gelaufen. An einer Seite ragte die Spitze der langen Nadel hervor und sah von Rostflecken ganz picklig aus.
Peter nahm einen Schluck Bier aus einem großen, mit dem N a men einer Sportmannschaft bedruckten Plastikb e cher. Er sagte: »Falls du nicht vorhast, mich zu heiraten, hat es keinen Sinn, dich zum Essen einzuladen, stimmt's?« Sein Blick wanderte an die Decke, dann zu ihr, und er sagte: »Ich finde, diese Vorgehen s weise spart allen Beteiligten eine ganze Menge Zeit.«
»Nur um das festzuhalten«, erwiderte Misty, »dieses Haus exi s tiert gar nicht. Das habe ich
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