Das Letzte Protokoll
der Brosche und öffnete den Verschluss. Seine G e sichtsmuskeln zuckten, verkrampften sich für eine Seku n de. Falten nähten ihm die Augen zu, als er die lange Nadel aus dem Pullover zog. Aus seiner Brust.
Aus deiner Brust. Mit deinem Blut verschmiert.
Er ließ die Brosche zuschnappen und legte sie ihr in die Hand.
Er sagte: »Also, willst du mich heiraten?«
Er sprach das wie eine Herausforderung, als wäre er auf eine Schlägerei aus, als würde er ihr den Fehdehandschuh ins G e sicht werfen. Wie eine Aufforderung zum Duell. Seine Augen berüh r ten sie von oben bis unten, ihre Haare, ihre Brüste, ihre Beine, ihre Arme, ihre Hände, als wäre Misty Kleinman der Rest seines L e bens.
Lieber geliebter Peter, kriegst du das mit?
Und die kleine Schwachsinnige aus der Wohnwagenk o lonie, sie nahm die Brosche an.
3. Juli
Angel sagt, sie soll eine Faust machen. Er sagt: »Halt jetzt den Zeigefinger so, als ob du dir in der Nase bohren willst.«
Er nimmt Mistys Hand, den ausgestreckten Finger, und legt i h re Fingerspitze auf die schwarze Farbe an der Wand. Er bewegt den Finger so, dass er der Spur schwa r zer Sprühfarbe folgt, den Satzfragmenten und Kritzeleien, den Tropfen und Schmierfl e cken, und sagt: »Fühlst du was?«
Nur um das festzuhalten: Da stehen ein Mann und eine Frau ganz eng zusammen in einem kleinen dunklen Raum. Sie sind durch ein Loch in der Wand hineingekrochen, die Hausbesitz e rin wartet draußen. Nur damit du das später weißt, Angel trägt so eine enge braune Lederhose, die riecht wie Schuhcreme. Die riecht wie Autoledersitze. Die riecht wie dein Portemonnaie, schweißg e tränkt, wenn du es nach einer Fahrt an einem heißen Sommertag aus der hinteren Hosentasche ziehst. Es ist der G e ruch, den Misty angeblich nie hat ausstehen können, genau so riecht die Lederh o se, in der er sich an sie drückt.
Ab und zu tritt die Hausbesitzerin draußen an die Wand und ruft: »Verraten Sie mir vielleicht mal, was Sie da drin treiben?«
Das Wetter heute ist warm und sonnig mit vereinzelten Wo l ken, und eine Hausbesitzerin aus Pleasant Beach hat angerufen und gesagt, dass sie ihre verschwundene Frühstücksecke wi e dergefunden hat und jemand sich das mal ansehen sollte. D a rauf hat Misty sofort Angel Delaporte angerufen, und die beiden h a ben sich an der Anlegestelle der Fähre getroffen, um zusa m men da rauszufahren. Er hat seine Kamera und eine große Tasche mit O b jektiven und Filmmaterial mitgebracht.
Angel wohnt, wie du dich vielleicht erinnerst, in Ocean Park. Ein Hinweis: Du hast seine Küche zugemauert. Er sagt, wie du deine m schreibst, den ersten Bogen höher als den zweiten, das zeigt, dass dir deine eigene Meinung wichtiger ist als die der Ö f fentlic h keit. Und dein kleines h, dessen Abstrich sich von rechts unten nach links zurückbiegt, das zeigt, dass du keine Kompr o misse eingehst. Graphologie ist eine echte Wissenschaft, sagt Angel. Nachdem er die Texte in der verschwundenen Küche g e sehen hatte, wollte er sich noch ein paar andere Häuser ans e hen.
Nur um das festzuhalten: Er sagt, deine kleinen g und y mit der nach links gezogenen Unterlänge, die zeigen, dass du sehr an de i ner Mutter hängst.
Da habe er Recht, hat Misty geantwortet.
Angel und sie sind nach Pleasant Beach gefahren, und eine Frau hat ihnen aufgemacht. Sie hat die beiden gemu s tert, hat mit nach hinten gelegtem Kopf an ihrer Nase en t lang gesehen, das Kinn nach vorn gereckt, die Lippen schmal zusammeng e presst, die Muskeln links und rechts am Unterkiefer, die Masseter-Muskeln, quasi zu einer kleinen Faust geballt, und hat g e sagt: »Ist Peter Wilmot zu bequem, sich hier blicken zu lassen?«
Der kleine Muskel zwischen Unterlippe und Kinn, der Ment a lis, war so angespannt, dass ihr Kinn unzählige winzige Grü b chen bildete. Sie sagte: »Mein Mann hat seit heute Morgen nicht aufg e hört zu gurgeln.«
Der Mentalis, der Corrugator, diese kleinen Gesicht s muskeln sind das Erste, was man im Anatomieunterricht auf der Ku n stakademie lernt. Mit dem Wissen fällt es leicht, ein falsches L ä cheln zu erkennen, weil hierbei Ris o rius-Muskel und Platysma die Unterlippe gleichzeitig nach unten und zur Seite ziehen und so die unteren Schneidezähne entblößen.
Nur um das festzuhalten: Es ist nicht gerade das Wahre, wenn man den Leuten ansehen kann, dass sie nur so tun, als ob sie e i nen mögen.
Die gelbe Tapete in ihrer Küche hängt wellig von einem Loch dicht über dem Fußboden.
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